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Vogelwild

Vogelwild

Titel: Vogelwild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Auer
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selbst, war klar, dass solche Spekulationen der blanke, an den Haaren
herbeigezogene Unsinn waren. Immerhin machten sie die Fahrt ein bisschen
leichter.
    Als sie vom Altmühltal in das schmale Seitental der
Gailach abbogen, seufzte Huber erneut: »Schaut euch nur diese Landschaft an.
Das ist doch ein Idyll! Man möchte fast meinen, hier wäre kein Platz für
Verbrechen.« An der linken Seite des Tals erhob sich ein Kirchlein mit
Zwiebeltürmchen und einem angebauten Fachwerkhaus. »Mariae End, eine
Wallfahrtskirche«, erläuterte Huber, während er auf das Gotteshaus zeigte. Die
gegenüberliegende Talseite war ein karger Berghang mit einzelnen Felsen, wo nur
Wacholderbüsche der Beweidung durch Schafherden widerstanden, und im Talgrund schlängelte
sich als breiter, munterer Bach die Gailach der Altmühl entgegen. Nach nur zwei
Kilometern war Mörnsheim erreicht, hingeduckt ins schmale Tal mit seinen
atemberaubenden Steilhängen. »Da, schaut«, sagte Huber, der sich nun als
Fremdenführer fühlte, und deutete auf die nördliche Talseite. »Das ist alles
Abraummaterial von den Steinbrüchen da oben. Wird seit Jahrhunderten schon hier
abgekippt. Sieht das nicht spektakulär aus?«
    Wie in der Wüste Gobi, dachte Morgenstern, der im
Moment keine Begeisterung für landschaftliche Besonderheiten aufbringen konnte,
behielt seinen Vergleich aber für sich.
    Zielsicher lenkte Huber den Wagen durch den Ort und
ließ den Kollegen gegenüber keine Zweifel aufkommen, dass sie sich in seinem
Revier befanden. Mit unverhohlener Neugierde schauten ihnen ein paar Passanten
nach. Anscheinend galt ein Streifenwagen hier noch als Attraktion. Vielleicht
wussten manche aber auch schon über den Tod der Frau Bescheid, in den Dörfern
sprachen sich Neuigkeiten von solchem Kaliber ja immer in rasender Eile herum.
Schließlich war schon eine halbe Stunde vergangen, seit die Kollegen die Leiche
gefunden hatten. Am Ortsrand bog Huber in eine Seitenstraße ein, und nach ein
paar Metern lag ein kleines, offensichtlich seit vielen Jahren vernachlässigtes,
geducktes Häuschen vor ihnen, an das sich in L-Form ein Stall und eine Scheune
anschlossen. Der Hof war geschottert, aber die Natur holte sich bereits mit
großen Büscheln von Löwenzahn ihr Recht zurück. Am Haus war der Putz in großen
Platten von den Wänden geplatzt, und ein morscher Holzzaun, der das Anwesen von
der Straße trennte, harrte seit Jahrzehnten vergeblich seiner Erneuerung.
    Über der offenen Haustür kündete eine in die Wand
eingelassene Steintafel von früheren, besseren Tagen: »Erbaut von Ignaz und
Anna Messmer, 1839«, las Morgenstern.
    Im Hof hatte sich eine kleine Menschengruppe
versammelt, die sich leise unterhielt: die beiden Streifenbeamten, der
Bürgermeister, der Briefträger sowie zwei Nachbarn.
    »Grüß Gott, die Herren«, sagte Huber und stellte dann
seine Begleiter vor. »Ich würde vorschlagen, wir betrachten uns jetzt die Sache
genauer – aber niemand fasst etwas an, verstanden?« Von der Ortsmitte her fing
eine Glocke an zu läuten. Ihr Ton war überraschend tief. Wie auf Kommando
wandten sich alle in Richtung Kirche.
    »Die Sterbeglocke«, sagte einer der Nachbarn. Und als
er das allgemeine Stirnrunzeln der Polizeibeamten bemerkte, erklärte er: »Meine
Frau ist die Mesnerin. Ich habe ihr gesagt, dass sie dem Pfarrer Bescheid geben
und läuten soll. Dass die Carola tot ist, steht ja schließlich außer Frage.«
    Die beiden Streifenbeamten, deren Uniformen von
nassen, dunklen Flecken übersät waren und erbärmlich stanken, führten das
Grüppchen in den leer stehenden Stall, von dem eine Tür auf die rückwärtige
Seite des Anwesens führte, wo sich der Misthaufen und die Jauchegrube befanden.
Eine Wiese mit einigen halb verwilderten Obstbäumen schloss sich an, und keine
dreihundert Meter weiter begann der Wald, der sich an der Nordflanke des
Gailachtals emporzog.
    Die Leiche hatten die Beamten im Gras neben der
Betondecke der Jauchegrube abgelegt. Die Frau ruhte auf ihrem Rücken, die Augen
hatte sie geschlossen. Durch die Sonne war die Jauche bereits angetrocknet,
sodass ihr Gesicht nun seltsam bräunlich, fast bronzen glänzte. Die
ursprüngliche Farbe der langen, zu einem Pferdeschwanz zusammengeknoteten Haare
war nicht mehr zu erkennen. Die Tote dürfte etwa fünfzig Jahre alt sein,
vermutete Morgenstern, als er sich niederbeugte, um sie mit professionellem
Interesse zu mustern. Ihre von der Gülle getränkte Kleidung war schäbig: ein
alter

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