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Vogelwild

Vogelwild

Titel: Vogelwild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Auer
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übernommen.
»Dabei hätten sie das gar nicht nötig gehabt«, erklärte der Bürgermeister. »Sie
haben eine kleine Landwirtschaft betrieben, und der Alte arbeitete zeitlebens
im Steinbruch. Er war klein, aber ihr eigener«, sagte der Bürgermeister.
    »Gibt es Verwandte?«, wollte Morgenstern wissen.
    »Nicht dass ich wüsste. Carola war das einzige Kind.
Sie hatten nie Besuch, und hierher auf den Hof ist auch schon lange kein
Fremder mehr gekommen. Der Postbote durfte bis zur Tür, ein Mal im Jahr hat der
Kaminkehrer seine Arbeit verrichtet, aber das war’s dann auch schon. In meinen
ersten Amtsjahren als Bürgermeister habe ich Carola ein paar Mal wegen
Grundstücksgeschäften für den Ausbau unserer Ortsverbindungsstraße besucht.
Aber mit der Frau war nicht zu verhandeln, und am Ende hat sie mich regelrecht
rausgeworfen. Die war hier immer ganz allein. Sie hatte nur ihre Katzen.«
    Jetzt fiel auch Morgenstern wieder ein, dass sich im
Hof gleich mehrere Katzen herumgetrieben hatten, und im breiten Flur hatte eine
die ungewöhnlichen Besucher mit hoch aufgerichtetem Buckel erwartet.
    »Hat sie irgendwo gearbeitet?«, fragte Morgenstern.
    »Wo denken Sie hin? Die hätte doch keiner genommen.
Bei der Carola hat es ja an allem gefehlt: am Reden, am Auftreten, an der
Kleidung, an der Hygiene … Nein, zuerst hat sie noch ein paar Kühe gehabt und
ein bisschen im Steinbruch geklopft, aber das ist schon viele Jahre her. Gelebt
hat sie anscheinend von den Pachteinnahmen ihrer Felder, bei ihrem Lebensstil
reichten die locker aus. Sie hatte ja noch nicht einmal ein Auto. Und wenn sie
mal unterwegs war, dann mit ihrem alten, klapprigen Fahrrad.«
    Morgenstern schaute den Gemeindechef konzentriert an:
»Herr Bürgermeister, eine wichtige Frage: Hatte die Frau Feinde?«
    Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: »Nein,
ganz bestimmt nicht. Ich bin jetzt seit sechzehn Jahren hier Bürgermeister, und
ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals einen ernsteren Streit gegeben
hätte – mal abgesehen von meinem Rausschmiss, als ich von ihr diesen Acker
kaufen wollte.« Er seufzte bei der Erinnerung. »Die Frau lebte komplett
zurückgezogen in ihrer eigenen Welt. Und in der gab es nur ganz wenige
Berührungspunkte mit anderen Menschen.«
    »Und trotzdem hat jemand sie umgebracht«, stellte
Morgenstern trocken fest. »Der Hof liegt doch am äußersten Dorfrand. Vielleicht
war das Ganze ja nur ein dummer Zufall: Ein Einbrecher, der sich ins erstbeste
Anwesen eingeschlichen hat, wurde von Carola Messmer überrascht und wurde so
zum Mörder. Ein Landstreicher. Er könnte vom Wald aus unbemerkt über den Garten
in das Anwesen gelangt sein.«
    Hecht ging auf Morgensterns Gedankenspiele ein,
bezweifelte sie aber: »Wenn es ein Einbrecher war, warum ist im Haus dann
nichts verwüstet?«
    Morgenstern dachte an Akatoblus Wohnung, in der die
Eindringlinge tatsächlich das Unterste zuoberst gekehrt hatten, bis sie das
Gesuchte schließlich gefunden hatten. In Carola Messmers Behausung sah es zwar
auch erbärmlich unordentlich aus, aber allem Anschein nach war dies ganz allein
dem äußerst individuellen Lebensstil der ehemaligen Bewohnerin zuzuschreiben.
Vielleicht war der Mörder ja nach der Tat panisch geflohen? So könnte es
gewesen sein. »Und was erzählt man sich sonst so im Dorf über die Carola?«,
wandte er sich wieder dem Bürgermeister zu.
    »Na, dass sie ein bisschen … Sie verstehen schon«,
sagte der Gemeindechef, kreiste mit seinem rechten Finger an seiner Schläfe und
verdrehte dabei die Augen. »Aber das darf man den Leuten nicht persönlich übel
nehmen. Auf dem Dorf ist man da ganz direkt, geradeheraus. Von mir aus können
Sie das auch brutal nennen.« Der Bürgermeister sinnierte. »Wenn man es genau
betrachtet, war das schon mit den Alten nicht anders. Der Vater, der Xaver,
krauterte da oben immer ganz allein in seinem Steinbruch herum. Da kam sonst
kein Mensch hin. Alle paar Wochen brachte ein Lastwagen die Paletten in die
Steinschleiferei, aber das war’s schon. Geredet hat der Xaver nur das Nötigste.
Bloß wenn er alle heiligen Zeiten mal in der Wirtschaft war, dann wurde er auf
einmal munter und hat Sprüche gerissen, als wäre er Gott weiß wer.« Der
Bürgermeister lachte trocken. »Aber die Bauern haben sich dann einen Spaß mit
ihm gemacht und ihn absichtlich bis oben hin abgefüllt. ›Geh, Xarre, oaner geht
no, oaner geht allweil!‹, haben sie immer gesagt. Aber das ist schon ewig

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