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Vogelwild

Vogelwild

Titel: Vogelwild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Auer
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Durch den heftigen Ruck kamen die beiden Aluminiumpaddel,
die jemand schlampig ins Boot gelegt hatte, ins Gleiten und rutschten polternd
ins Heck.
    »So ein Mist!«, schimpfte Morgenstern. »Können die ihr
Zeug nicht besser verstauen?« Eilig ließ er das Boot wieder zu Boden sinken,
doch es war bereits zu spät. Mit einem leisen Platschen fiel eins der Paddel in
den Fluss, tauchte kurz unter, kam dann aber mit einer wackelnden Bewegung
wieder an die Wasseroberfläche, als wollte es Morgenstern freundlich zuwinken.
Dann trieb es träge davon. Sein Missgeschick blieb leider nicht unbemerkt.
    »Dem Papa ist ein Paddel reingefallen!«, trompetete
Bastian. Marius und Fiona schossen zum Ort des Geschehens.
    »Jetzt tu doch was, Mike!«, forderte Fiona, also
sprang Morgenstern ins Kanu, um sich das zweite Paddel zu sichern. Damit würde
er vom Ufer aus das schwimmende Ding erreichen, so hoffte er. Aber vergeblich.
Durch den heftigen Sprung des Oberkommissars setzte sich das Boot in Bewegung
und glitt mit ihm als Kapitän in den Fluss zurück. Morgenstern konnte von Glück
reden, dass das kippelige Wasserfahrzeug nicht sofort kenterte.
    An der nahen Fußgängerbrücke hatten sich im Nu etliche
Zuschauer eingefunden, die Morgensterns Aktion mit Interesse verfolgten.
Unsicher rutschte er auf Knien auf das Paddel im Heck zu, wobei das Boot
mehrmals bedrohlich in Schräglage geriet.
    »Pass auf, Mike, du fällst noch rein!«, warnte Fiona vom
Ufer aus. Es war unüberhörbar, dass sie sich ernsthafte Sorgen machte. In der
Tat hatte Morgenstern bei ihrem jüngsten Kanuausflug keine besonders elegante
Figur abgegeben. Im Gegensatz zu Fiona waren ihm die Feinheiten des Steuerns
per Paddelschlag bis zuletzt ein Geheimnis geblieben. Selbst Bastian mit seinen
gerade mal sieben Jahren hatte hier sehr viel mehr Geschick bewiesen als er.
Und nun saß Morgenstern ganz allein im Boot, umgeben von Zaungästen, die teils
besorgt (seine Familie), teils belustigt (die Zuschauer auf der Brücke) seine
grobmotorischen Aktionen auf dem Fluss verfolgten. Das verlorene Paddel hatte
bereits einen Vorsprung von gut zwanzig Metern herausgeholt, und der Ermittler
hatte sein Kanu noch nicht einmal in die richtige Richtung flussabwärts drehen
können. Als ihm das mit viel Mühe endlich gelang, setzte er dem Treibgut mit
unkoordinierten Paddelschlägen nach, mal auf der linken, mal auf der rechten
Seite des Bootes, wodurch er in kürzester Zeit ziemlich durchnässt war.
Immerhin holte er langsam auf.
    »Ich krieg dich schon, du Sch…paddel!«, drohte er
laut, und tatsächlich war nach etwa zweihundert Metern, kurz vor der Autobrücke
am Heilig-Geist-Spital, die Verfolgungsjagd zu Ende: Innerlich triumphierend
streckte sich Morgenstern von seiner Sitzbank aus weit über den linken
Bootsrand, um das Paddel aus der Altmühl zu fischen …
    Später erzählte er Fiona, er habe die Szene wie in
Zeitlupe erlebt: Durch die unbedachte Gewichtsverlagerung bekam das Kanu
Schlagseite. Der Kapitän, der seinen dramatischen Fehler ausgleichen wollte,
warf sich verzweifelt auf die andere Seite, doch es war bereits zu spät. Die
linke Bootshälfte war schon deutlich unter die Wasserlinie geraten und nicht
mehr aufzurichten. Mit einem lauten Fluch ließ Morgenstern das aus dem Wasser
gefischte Paddel fallen, bevor er selbst im grün-braunen Fluss versank. Das Boot,
das zum Glück mit Luftkammern ausgestattet und damit unsinkbar war, trieb,
begleitet von den beiden Paddeln, kieloben alleine den Fluss hinunter.
    Morgenstern war so verblüfft, dass er erst nach ein
paar Sekunden begann, ans Ufer zu schwimmen. Von der Fußgängerbrücke glaubte
er, hämischen Applaus für das kostenlose Spektakel zu hören. Er konnte sich
aber auch getäuscht haben.
    Als
Morgenstern frisch geduscht und umgezogen mit Fiona bei der ersehnten Flasche
Wein auf dem Balkon saß, war es schon spätabends. Das Boot samt der beiden
Paddel war längst von den Kanuverleihprofis beim Stauwehr etwas flussabwärts
aus der Altmühl gefischt worden. Die Kinder lagen in ihren Betten, wo sie sich
wahrscheinlich noch immer flüsternd unterhielten. Morgenstern mutmaßte, dass es
dabei wieder, wie schon während des gesamten Abendessens, um die unfreiwillige
Tauchfahrt des Familienvorstands ging, dessen Autorität dadurch tüchtig an
Wirkungskraft eingebüßt hatte. Aber sollten sie doch reden! Schließlich hätte
der alternative Gesprächsstoff nur sein können, dass draußen im schönen
Gailachtal ein Mord

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