Vogelwild
geschehen war, und das sollte die Buben nun wirklich nicht
belasten. Die Kindheit, so war Morgensterns Überzeugung, war wesentlich
unbeschwerter, wenn der Vater nicht jeden Abend die aktuellen unnatürlich
herbeigeführten Sterbefälle auf dem heimischen Küchentisch ausbreitete.
»Und diese Urvogelspur ist sicher?«, fragte Fiona nun,
als ihr Mann ihr die Neuigkeiten aus Mörnsheim berichtet hatte. In aller Regel
nahm sie großen Anteil an seinen Ermittlungen, und auch jetzt war sie Feuer und
Flamme. »Dann lass uns doch mal überlegen, wer etwas davon haben könnte, wenn
er dieses Ding gleich in doppelter Ausführung besitzt. Ich meine, die sind doch
unverkäuflich, oder?«
»Das stimmt so nicht ganz. Von dem Vogel aus
Wintershof gibt es, soweit wir bisher wissen, nur ein einziges Polaroidfoto,
kein Negativ, keine CD , auf der es gespeichert
wäre. Und niemand weiß etwas von diesem Foto. Unter diesen Voraussetzungen
könnte der Mörder davon ausgehen, dass es ihm gelingt, sein Exemplar nach einer
Schamfrist zu verkaufen.«
»Aber für den Vogel in Mörnsheim gilt das nicht«, warf
Fiona ein.
»Nein, und der gibt mir wirklich Rätsel auf. Er hat
nämlich so lange in Eichstätt gelegen, dass jeder davon ausgehen kann, dass es
Fotos von ihm gibt. Ab heute kann dieses wertvolle Fossil niemals mehr auf den
Markt kommen. Da klebt jetzt für alle Zeiten das Blut von der Carola Messmer
dran – oder auch, wenn man so will, ihr Odel.«
»Du bist wirklich geschmacklos, Mike Morgenstern!«,
schüttelte sich Fiona.
»Aber du hättest das da draußen mal riechen sollen.
Die armen Kollegen, die die Frau aus der Grube gezogen haben, die waren echt
nicht zu beneiden. Und die Gerichtsmedizin wird an dem Fall auch keine große
Freude haben, rein geruchsmäßig, meine ich.«
»Jetzt langt’s aber. Bei deinen Erzählungen schmeckt
mir ja noch nicht mal mehr mein Wein«, schnitt ihm Fiona das Wort ab. »Lass uns
mal ernsthaft überlegen: Bei euch in der Kriminalistik gibt es doch diese
zentrale Frage nach dem Nutzen eines Verbrechens. Also: Wer will einen Urvogel,
wenn er ihn nicht öffentlich zeigen kann? Und wer ist bereit, dafür sogar über
Leichen zu gehen? Könnte vielleicht ein durchgeknallter Sammler
dahinterstecken, dem alles egal ist? Irgendein Ölscheich aus Arabien?«
»Ich denke, das führt zu nichts. Wie käme der denn an
unsere Leute im Altmühltal heran? Über Mittelsmänner? Aber die Branche ist
dermaßen klein und geschwätzig, obwohl die Sammler das Gegenteil behaupten, da
würden im Nu Gerüchte kursieren. Wenn ich da heute an Mörnsheim denke, die
wussten ja sogar über den Leihvertrag vom alten Messmer Bescheid.«
Fiona nahm einen großen Schluck Wein und hielt das
leere Glas gegen das Abendrot, das sich in einem schmalen Streifen über die
Stadt gelegt hatte. »Wie viele Urvögel gibt es bisher eigentlich?«, wollte sie
wissen.
»Offiziell zehn, wenn mich nicht alles täuscht. Manche
von ihnen sind aber schon wieder verschollen, oder es gibt nur den Abdruck
einer Feder.«
»Und der Urvogel ist deshalb so wertvoll, weil er so
selten ist, oder?«
»Na ja, es gibt schon Fossilien, die noch seltener
sind, aber natürlich, wenn es den Archaeopteryx hundert Mal gäbe, wäre aus der
Sache die Luft irgendwie raus.«
»Also das alte Spiel von Angebot und Nachfrage«,
überlegte Fiona laut. »Wenn heute auf einmal mehrere neue Urvögel auftauchten,
würden die alten an Wert verlieren. Das ist wie bei den Oldtimern. Einen VW -Käfer stellt ja auch niemand ins Museum.«
»Du willst also darauf hinaus, dass jemand ein
Interesse daran haben könnte, dass sich die Zahl der Urvögel nicht erhöht?«
Morgenstern schüttelte skeptisch den Kopf. »Deshalb greift sich dieser
Unbekannte sämtliche neuen oder unbekannten Exemplare und zieht sie aus dem
Verkehr. Und wenn es sein muss, dann bringt er auch den Eigentümer um.
Entschuldigung, Fiona, aber deine Theorie kommt mir ziemlich abgefahren vor.
Nein, das ist wirklich Quatsch. Kein vernünftiger Mensch würde wegen so einem
Schmarrn einen Mord begehen.«
»Na, dann zerbrecht euch eben von mir aus alleine
weiter den Kopf, du und deine superschlauen Kollegen.« Beleidigt und wütend
knallte sie das Weinglas, das sie noch immer zwischen den Fingern gedreht
hatte, auf die Tischplatte. »Außerdem habe ich nicht von einem ›vernünftigen
Menschen‹ gesprochen. Schlau und skrupellos muss er sein – und sehr überzeugt
von dem, was er tut. Aber nicht
Weitere Kostenlose Bücher