Vogelwild
diesem alten Bett, in dieser schäbigen Kiste,
jahrelang ein Urvogel lag: Wer hätte dann davon gewusst?«, fragte der
Oberkommissar in die Runde. »Ich habe das Gefühl, dass der Kreis von
Verdächtigen sehr überschaubar ist. Oder was meinen Sie, Herr Bürgermeister?
Was meldet uns Ihre Buschtrommel?«
Der Bürgermeister warf Morgenstern einen finsteren
Blick zu: »Ich gebe Ihnen gleich eine Buschtrommel! Wir in Mörnsheim sind
vielleicht nicht der Nabel der Welt, aber mit dem Urwald kann man uns deswegen
noch lange nicht vergleichen. Und ihr mit eurem Ingolstadt braucht euch gar
nichts auf eure Stadt einzubilden, ohne Audi wärt ihr so klein mit Hut!« Dabei
hielt er Daumen und Zeigefinger maximal zwei Zentimeter auseinander.
Doch ebenso rasch, wie er sich erregt hatte, gewann
der Bürgermeister seine Ruhe wieder: »Glauben Sie mir, wenn nur ein Einziger im
Dorf etwas über einen Urvogel gewusst hätte, den Sie hier in dieser Schachtel
vermuten, dann wäre es auch mir irgendwann zu Ohren gekommen. So wie ich es
auch erfahren habe, als der Xaver den Vogel gefunden hat.« Er schüttelte
nachdenklich den Kopf: »Das muss man sich mal vorstellen: Da ist die Carola vielleicht
jahrzehntelang auf einem Schatz gelegen. Damit wäre sie zu D-Mark-Zeiten eine
Millionärin gewesen. Eine Millionärin, die das ganze Jahr über in ihrer alten,
durchgewetzten Jogginghose rumgelaufen ist.«
Morgenstern gab sich einen Ruck: »Ich will das jetzt
auf der Stelle genau wissen. Peter, ruf du doch bitte im Priesterseminar an,
was es mit diesem Archaeopteryx der Messmers auf sich hat. Ansonsten jagen wir
am Ende noch einer Spinnerei hinterher, und das nur wegen einer leeren
Bananenkiste und einer alten Zeitung.«
Hecht zog ab, um über Funk die Telefonnummer zu
erfragen, und auch die anderen verließen im Gänsemarsch die ungemütliche
Kammer. Morgenstern überlegte noch kurz, ob er die Bananenverpackung mitnehmen
sollte oder nicht, ließ sie dann aber für die Spurensicherung stehen. In
Gedanken versunken, wollte er auf den Flur hinausgehen. »Verdammt!«
Draußen im Hof knirschte der Kies. Die Beamten von der
Spurensicherung waren in Begleitung eines Staatsanwalts aus Ingolstadt
eingetroffen. Morgenstern erläuterte ihnen die wesentlichen Erkenntnisse, und
die Männer zogen schnurstracks in Richtung Jauchegrube ab. Peter Hecht saß
derweil in Hubers Dienstwagen und telefonierte konzentriert. Nach einigen
Minuten winkte er Morgenstern zu sich, ließ ihn auf dem Beifahrersitz Platz
nehmen und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. »Deinen Riecher möchte ich
echt haben! Das war jetzt der Chef vom Priesterseminar, nennt sich Regens oder
so. Obwohl er erst ein paar Monate im Amt ist, konnte er mir helfen. Er hat sich
die Unterlagen kommen lassen und sofort alles gefunden. Unsere Carola Messmer
hat 1986 tatsächlich den Urvogel in Eichstätt abgeholt und das mit ihrer
Unterschrift quittiert, sogar mit Adresse und Datum.« Hecht blätterte in seinen
Notizen. »Das war am 29. April. In dem Aktenordner war auch noch der
Leihvertrag mit dem alten Messmer und ein großes Foto von dem Urvogel, das
ebenfalls nicht veröffentlicht werden durfte. So stand es in dem Vertrag.«
»Wundert mich eigentlich, dass die Kirche den Vogel
unter diesen Umständen überhaupt genommen hat. Sie konnte ja rein gar nichts
mit ihm anstellen«, meinte Morgenstern.
»Der Regens war ganz offen und sagte, dass seine
Vorgänger wohl gehofft hatten, nach dem Tod des alten Messmers würden die
Karten neu gemischt werden. Das ist dann auch passiert, aber leider nicht mit
dem Ergebnis, das den Leuten in Eichstätt vorschwebte.«
»Hast du diesen Regenten auch gefragt, wer von der
Sache wusste?«
»Nicht Regenten, Regens heißt der Mann, und logo habe
ich ihn gefragt. In Mörnsheim dürfte es tatsächlich niemand gewusst haben, weil
das Priesterseminar, so behauptet er es jedenfalls, in solchen Dingen
normalerweise sehr diskret ist. Aber im Priesterseminar und im Jura-Museum
wusste der ein oder andere schon von der Geschichte. Die haben sich damals
natürlich in übertragenem Sinne in den Hintern gebissen, als der Vogel von so
einer Gestalt wie der Carola abgeholt wurde. Wahrscheinlich hat sie die
Steinplatte vor aller Augen in einen Kartoffelsack oder eine alte Aldi-Tüte
gesteckt. So ein Anblick kann einem Wissenschaftler schon das Herz brechen.«
»Du meinst, einem Wissenschaftler, der es nicht
verkraften konnte, dass ein so wertvolles Stück Weltgeschichte bei
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