Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
die seine Dämonen anbetenden Anhänger hassen, sagen, er sei der Ursprung alles Bösen im Universum – der Prinz der Finsternis – Ahriman – die uralte Schlange – der leibhaftige Satan! Und du sagst, Grimlan nennt diesen mythischen Dämon in seinem letzten Willen?«
»Es ist die Wahrheit.« Conrads Kehle war trocken. »Und siehst du? Er hat etwas sehr Eigenartiges an den Rand dieses Pergaments gekritzelt: ›Schaufelt mir kein Grab, ich werde keines brauchen.‹«
Wieder lief mir ein Schauer über den Rücken.
»In Gottes Namen«, stieß ich dem Wahnsinn nahe aus, »lass uns diese haarsträubende Aufgabe endlich hinter uns bringen!«
»Ich glaube, wir könnten etwas zu trinken vertragen«, entgegnete Conrad und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Wenn ich mich recht erinnere, hat Grimlan hier seinen Wein aufbewahrt …« Er bückte sich zur Tür eines mit aufwendigen Schnitzereien verzierten Mahagonischränkchens hinab, und nach einigen Schwierigkeiten gelang es ihm, sie zu öffnen.
»Hier ist kein Wein«, sagte er enttäuscht. »Wenn man einmal etwas Anregendes braucht … aber was ist das?«
Er zog eine staubige, gelbliche, halb mit Spinnweben verklebte Pergamentrolle hervor. Nervös und aufgeregt kam mir der Gedanke, dass scheinbar auf allem in diesem düsteren Haus eine ungeheure, mysteriöse Bedeutung lag, und ich beugte mich über Conrads Schulter, als er das Papier entrollte.
»Es ist ein Familienregister«, sagte er. »Darin haben alte Familien alle Geburten, Todesfälle und so weiter aufgeführt; sie wurden bis zum sechzehnten Jahrhundert geführt.«
»Welcher Familienname steht da?«, fragte ich.
Er betrachtete die Kritzeleien im Halbdunkel eingehend, um die verblasste, altertümliche Schrift entziffern zu können.
»G-r-y-m – jetzt hab ich’s! – Grymlann! Natürlich! Das ist das Familienregister des alten John – der Grymlanns des Toad’s-heath Manor in Suffolk – was für ein merkwürdiger Name für ein Anwesen! Schau dir den letzten Eintrag an!«
Wir lasen ihn gemeinsam: »John Grymlann, geboren am 10. März 1630.« Dann entfuhr uns beiden ein Schrei. Unter diesem Eintrag standen in frischer Tinte in einer eigenartigen, krakeligen Handschrift die Worte: »Gestorben am 10. März 1930.« Darunter klebte ein Siegel aus Wachs, auf dem ein seltsamer Stempelabdruck zu erkennen war, der aussah wie ein Pfau mit aufgestelltem Rad.
Conrad starrte mich sprachlos an; aus seinem Gesicht war sämtliche Farbe gewichen. Vor Angst und Wut schüttelte es mich am ganzen Körper.
»Das ist der Scherz eines Verrückten!«, sagte ich. »Diese Bühne ist wirklich mit äußerster Sorgfalt ausgestattet worden – die Akteure haben sich selbst übertroffen. Wer sie auch sein mögen, sie haben so viele unglaubliche Effekte eingebaut, dass sie selbst nicht mehr vonnöten sind. Das Ganze ist ein höchst albernes, absolut niveauloses Schauspiel der Illusionen.«
Aber während ich diese Worte sprach, drang eiskalter Schweiß aus meinen Poren, und mein Körper wurde wie von einem Fieberkrampf geschüttelt. Wortlos drehte Conrad sich zur Treppe um und ergriff eine große Kerze, die auf einem Mahagonitisch stand.
»Ich nehme an«, flüsterte er, »dass er der Ansicht war, ich würde diese grauenhafte Aufgabe allein erfüllen. Aber dazu fehlte es mir an Moral und an Mut, und darüber bin ich nun wirklich froh.«
Ein stummer Schrecken schwebte über dem stillen Haus, als wir die Treppe hinaufstiegen. Von irgendwo fand eine sanfte Brise ihren Weg zu uns, die die schweren Wandbehänge zum Raunen brachte, und ich bildete mir ein, dass Finger mit langen Krallen heimlich die Wandteppiche zur Seite schoben und uns rote Augen hämisch anstarrten. Einmal glaubte ich, das undeutliche Trampeln monströser Füße über uns zu hören, aber wahrscheinlich war es nur das dröhnende Klopfen meines eigenen Herzens.
Die Treppe endete in einem breiten, düsteren Korridor, in dem der schwache Schein der Kerze nur unsere blassen Gesichter erhellte und die Schatten nur noch dunkler erscheinen ließ. Wir hielten vor einer schweren Tür an und ich hörte, dass Conrad tief einatmete, wie Menschen es tun, denen eine schwere körperliche oder geistige Aufgabe bevorsteht. Unfreiwillig ballte ich die Fäuste, bis meine Fingernägel sich in meine Handflächen bohrten. Dann stieß Conrad die Tür auf.
Ein scharfer Schrei verließ seine Lippen. Die Kerze fiel aus seiner gefühllosen Hand und erlosch. John Grimlans Bibliothek war
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