Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
irgendeinen heidnischen Namen, den ich ohnehin nie richtig aussprechen konnte.
Ich stellte bald fest, dass ich nicht der einzige alte Freund war, der eine Einladung aufs Schloss erhalten hatte. Anscheinend füllte Dom Vincente sein einsames Haus einmal im Jahr mit zahlreichen Gästen, um ein paar Wochen ausgelassen mit ihnen zu feiern und sich so für die harte Arbeit des restlichen Jahres zu belohnen.
Es war schon fast dunkel, als ich das Schloss betrat, und ein großes Bankett war in vollem Gange. Alte Freunde empfingen mich freudig, sie begrüßten mich überschwänglich und stellten mich den Gästen vor, die ich noch nicht kannte.
Viel zu erschöpft, um mich mit vollem Eifer in das festliche Treiben zu stürzen, aß und trank ich wortlos, lauschte den Trinksprüchen und Liedern und beobachtete die Festgesellschaft.
Dom Vincente war mir natürlich bekannt – wir waren seit vielen Jahren gut befreundet. Ebenso seine hübsche Nichte Ysabel. Sie war für mich einer der Gründe gewesen, der Einladung in diese stinkende Wildnis zu folgen. Carlos, ihren Cousin zweiten Grades, kannte ich ebenfalls, ich mochte ihn jedoch nicht – er war ein durchtriebener, affektierter Kerl mit dem Gesicht eines Nagetieres. Außerdem waren mein alter Freund Luigi Verenza, ein Italiener, und seine kokette Schwester Marcita, die, wie gewohnt, allen Männern schöne Augen machte, zu Gast. Ein kleiner untersetzter Deutscher, der sich Baron von Schiller nannte, war ebenso anwesend wie Jean Desmarte, ein schäbig gekleideter Edelmann aus der Gascogne, und Don Florenzo de Seville, ein schlanker, dunkler, stiller Mann, der sich als Spanier ausgab und einen Degen trug, der fast so lang war wie er selbst.
Es waren noch einige weitere Gäste anwesend, Männer und Frauen, aber all das ist schon sehr lange her und ich kann mich nicht mehr an ihre Namen und Gesichter erinnern. Das Gesicht eines bestimmten Mannes zog meinen Blick jedoch magisch an, wie der Magnet eines Alchemisten Stahl anzieht. Er war sehr hager und mittelgroß, förmlich, geradezu streng gekleidet. Auch er trug ein Schwert, das fast ebenso lang war wie das des Spaniers.
Doch weder seine Kleidung noch sein Schwert weckten meine Aufmerksamkeit, sondern, wie gesagt, sein Gesicht. Ein schmales, edles Gesicht, dessen tiefe Falten ihm einen müden, ausgezehrten Ausdruck verliehen. Wangen und Stirn waren von kleinen Narben übersät, die aussahen, als seien sie ihm von grausamen Klauen zugefügt worden, und ich hätte schwören können, dass in den schmalen grauen Augen zeitweise etwas Flüchtiges, Geisterhaftes lag.
Ich lehnte mich zu der koketten Marcita hinüber und fragte sie nach dem Namen des Mannes, da ich mich nicht daran erinnern konnte, ihm vorgestellt worden zu sein.
»De Montour, aus der Normandie«, antwortete sie. »Ein eigenartiger Mann. Ich glaube, ich mag ihn nicht.«
»Er verfängt sich also nicht in deinen Fallstricken, meine kleine Zauberin?«, murmelte ich. Dank unserer langjährigen Freundschaft war ich gegen ihre Liebeslisten ebenso immun wie gegen ihren Zorn. Doch sie hatte offenbar beschlossen, nicht ärgerlich zu werden, und mir sehr artig mit sittsam gesenkten Wimpern geantwortet.
Ich beobachtete de Montour sehr lange. Eine seltsame Faszination ging von ihm aus. Er aß nur wenig, trank aber viel und sprach sehr selten, und das auch nur, um auf Fragen zu antworten.
Bald machten Trinksprüche die Runde und ich sah, wie seine Kameraden ihn drängten, aufzustehen und ebenfalls einen Toast auszubringen. Zunächst weigerte er sich, erhob sich jedoch schließlich auf ihr wiederholtes Drängen, und dann stand er für einen Augenblick still mit erhobenem Glas da. Er schien die Festgesellschaft zu dominieren, ja regelrecht einzuschüchtern. Dann hob er sein Glas mit einem spöttischen, fast grausamen Lachen bis hoch über den Kopf.
»Auf Salomon«, rief er aus, »der all die Teufel gefangen hat! Möge er dreimal verflucht sein, weil ihm einige entkommen sind!«
Ein Toast und ein Fluch zugleich! Alle tranken still. Man warf sich zweifelnde Blicke zu.
In dieser Nacht ging ich, ermattet von der langen Seereise, früh zu Bett. In meinem Kopf drehte sich alles von dem starken Wein, den Dom Vincente so reichlich in seinen Kellern vorrätig hatte.
Mein Zimmer lag in einem der oberen Stockwerke des Schlosses und bot einen Ausblick auf den Fluss und die Wälder im Süden. Wie der Rest des Schlosses war auch die Einrichtung nicht besonders prächtig, sondern eher von
Weitere Kostenlose Bücher