Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
selbst kaum, was ich sagte. »Ausgerechnet Sie!«
Er nickte nur.
»Sie haben von Schiller getötet?«
»Ja.«
Ich wich zurück – vor Angst konnte ich kaum atmen.
»Hören Sie«, sagte er und hob seine Hand. »Nehmen Sie ihren Degen und durchbohren Sie mich. Niemand wird Sie deswegen bestrafen wollen.«
»Nein. Das kann ich nicht.«
»Dann schnell. Gehen Sie zurück auf Ihr Zimmer und verriegeln Sie die Tür. Beeilen Sie sich! Es wird zurückkommen!«
»Was wird zurückkommen? Wenn es mich verletzt, wird es auch Sie verletzen. Kommen Sie mit mir auf mein Zimmer.«
»Nein, nein!«, kreischte er regelrecht und entfernte sich hastig einige Schritte von meiner ausgestreckten Hand. »Schnell, schnell! Es hat mich für den Moment verlassen, aber es wird zurückkommen.«
Dann fügte er mit tiefer Stimme, in der eine unbeschreibliche Furcht lag, hinzu: »Es nähert sich bereits. Es ist schon hier! «
Ich fühlte tatsächlich irgendetwas; irgendeine formlose, gestaltlose Präsenz ganz in der Nähe. Das pure Entsetzen.
De Montour stand mit steifen Beinen, zurückgezogenen Armen und geballten Fäusten da. Unter seiner Haut zeichneten sich die stark angespannten Muskeln ab, seine Augen weiteten sich und wurden wieder kleiner, und auf seiner Stirn traten die Adern hervor wie bei großer körperlicher Anstrengung.
Als ich mich umschaute, erkannte ich zu meinem Entsetzen, dass das gestaltlose, namenlose Etwas aus dem Nichts eine vage Form annahm! Wie ein Schatten bewegte es sich auf de Montour zu.
Es schwebte über ihm! Großer Gott, es verschmolz geradezu mit ihm und wurde eins mit dem Mann!
De Montour taumelte und atmete hörbar tief ein. Das düstere Etwas verschwand, und de Montour taumelte noch mehr. Dann drehte er sich zu mir um – und ich bete zu Gott, dass ich nie wieder in eine Fratze wie diese blicken muss!
Es war ein scheußliches, tierisches Gesicht. Die Augen leuchteten vor grimmiger Niedertracht und es fletschte die Zähne, die, wie ich erschrocken erkannte, eher wie die Reißzähne eines Tieres als wie das Gebiss eines Menschen aussahen.
Schweigend schlich das Geschöpf – ich kann es einfach nicht als Menschen bezeichnen – auf mich zu. Seine geschmeidigen Bewegungen erinnerten mich an einen Wolf. Vor Angst stockte mir der Atem.
In dem Augenblick, als das Tier sich auf mich stürzte, sprang ich rückwärts durch die Tür und knallte sie ins Schloss. Mit dem ganzen Gewicht meines Körpers presste ich die Tür zu, während das grauenhafte Wesen wieder und wieder donnernd gegen sie sprang.
Schließlich ließ es von der Tür ab und ich hörte, wie es vorsichtig den Korridor hinunterschlich. Schwach und erschöpft setzte ich mich, wartete und lauschte. Durch das offene Fenster wehte eine leichte Brise herein, und mit ihr all die Düfte Afrikas – herrlich würzige und auch widerwärtige. Vom Eingeborenendorf waren die landestypischen Trommeln zu hören. Etwas weiter den Fluss hinauf, tiefer im Busch, antworteten ihnen andere Trommeln. Dann ertönte im Dschungel das lange, hohe Heulen eines Wolfes. Es klang schrecklich fehl an diesem Ort und versetzte meine Seele in Aufruhr.
Im Morgengrauen erzählten zu Tode erschrockene Dorfbewohner von einer jungen Eingeborenen, die von einem nächtlichen Angreifer fast in Stücke gerissen worden sei und nur mit Glück hatte entkommen können. Ich suchte sofort de Montour auf.
Auf dem Weg zu ihm traf ich Dom Vincente. Er war verstört und voller Zorn.
»Etwas Höllisches treibt in diesem Schloss sein Unwesen«, sagte er. »Heute Nacht – ich habe das sonst niemandem erzählt – hat irgendetwas einen der Wachposten von hinten angesprungen, die lederne Uniformjacke von seinen Schultern gerissen und ihn bis zum Wachturm verfolgt. Außerdem hat jemand gestern de Montour in seinem Zimmer eingeschlossen und er musste die Tür einschlagen, um herauszukommen.«
Er ging weiter, murmelte etwas vor sich hin, und ich setzte meinen Weg die Treppe hinunter fort, verwirrter als je zuvor.
De Montour saß auf einem Hocker und blickte zum Fenster hinaus. Er wirkte unbeschreiblich erschöpft. Sein langes Haar war ungekämmt und zerzaust, seine Kleidung zerfetzt. Mich durchzuckte ein Schauder, als ich seine abgebrochenen Fingernägel sah und die verblassten, dunkelroten Flecken auf seinen Händen.
Er blickte auf und bedeutete mir stumm, mich zu setzen. Sein Gesicht sah verbraucht und ausgezehrt aus, aber es war das eines Menschen.
Nach einem Moment der Stille begann er zu
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