Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
und es gelang mir, meinen Freund unbemerkt zweimal täglich mit Essen und Getränken zu versorgen. Er bestand darauf, auch tagsüber im Verlies zu bleiben. Auch wenn das Wesen noch nie bei Tag von ihm Besitz ergriffen hatte und er damals der Ansicht war, dass es tagsüber machtlos war, wollte er dennoch kein Risiko eingehen.
Zu dieser Zeit beobachtete ich zum ersten Mal, wie Dom Vincentes rattengesichtiger Neffe Carlos Ysabel zusehends bedrängte – sie war seine Cousine zweiten Grades und schien seine Avancen offensichtlich nicht zu begrüßen.
Ich selbst hätte ihn sofort zu einem Duell herausgefordert, da ich ihn verabscheute, doch die ganze Angelegenheit ging mich nichts an. Ysabel schien sich jedoch vor ihm zu fürchten.
Mein Freund Luigi hatte sich jedoch heftig in das anmutige portugiesische Fräulein verliebt, und seine Liebe entflammte mit jedem Tag stärker.
De Montour saß unterdessen in seiner Zelle, dachte über all seine grausamen Taten nach und schlug mit seinen bloßen Fäusten gegen die Gitterstäbe.
Don Florenzo durchstreifte das Schlossgelände wie ein schlecht gelaunter Mephisto. Die anderen Gäste vertrieben sich die Zeit mit Reiten, Diskutieren und Weintrinken.
Mit jedem Tag wurden die Eingeborenen mürrischer, nervöser und starrköpfiger. Gola schwänzelte fortwährend um mich herum und sah mich nach wie vor an, als stehe er kurz davor, mir etwas mitzuteilen. Ist es da ein Wunder, dass meine Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren?
Eines Nachts, nicht lange vor Vollmond, betrat ich das Verlies, in dem de Montour saß.
Er schaute kurz auf.
»Sie riskieren sehr viel, wenn Sie in der Nacht zu mir kommen.«
Ich zuckte mit den Schultern und setzte mich.
Durch ein kleines Gitterfenster drangen die nächtlichen Düfte und Geräusche Afrikas zu uns herein.
»Hören Sie die Trommeln?«, fragte ich. »In der vergangenen Woche waren sie fast ständig zu hören.«
De Montour stimmte zu: »Die Eingeborenen sind rastlos. Ich fürchte, sie planen eine Teufelei. Haben Sie bemerkt, dass Carlos oft bei ihnen ist?«
»Nein, aber ich glaube, dass es bald zum Streit zwischen ihm und Luigi kommen wird. Luigi macht Ysabel den Hof.«
Wir unterhielten uns eine Zeit lang, bis de Montour plötzlich still wurde, in düstere Stimmung verfiel und nur noch einsilbig antwortete.
Der Mond ging auf und schien durch die zerschlagenen Fenster herein; die Strahlen erhellten de Montours Gesicht.
Dann griff die Hand des Entsetzens nach mir. An der Wand hinter de Montour war ein Schatten zu sehen – ein Schatten der aussah wie ein Wolfskopf!
Im selben Augenblick fühlte de Montour seine Gegenwart. Mit einem gellenden Schrei sprang er von seinem Stuhl auf. Er fuchtelte wild mit den Armen in Richtung Tür.
Ich stürzte hinaus, verschloss und verriegelte die Tür mit zitternden Händen hinter mir und spürte, wie er sich schon mit voller Kraft dagegenwarf. Als ich die Treppe hinaufrannte, hörte ich ein furchtbares Toben und Dröhnen hinter der eisenbeschlagenen Tür. Aber trotz der riesigen Kraft des Werwolfs hielt das massive Holz stand.
Als ich mein Zimmer betrat, stürzte auch Gola herein, und endlich sprudelte die Geschichte, die er seit Tagen für sich behalten hatte, aus ihm heraus.
Ich hörte ihm ungläubig zu und eilte dann sofort hinaus, um Dom Vincente zu finden. Wie ich erfuhr, hatte Carlos ihn gebeten, ihn ins Dorf zu begleiten, um den Verkauf einiger Sklaven auszuhandeln. Don Florenzo de Seville berichtete mir davon, und nachdem ich Golas Geschichte kurz umrissen hatte, schloss er sich mir an.
Gemeinsam stürzten wir durch das Schlosstor, riefen den Wachen zu, uns zu begleiten, und folgten dem Anlegesteg bis ins Dorf.
›Dom Vincente, Dom Vincente, seien Sie vorsichtig und halten Sie Ihr Schwert griffbereit! Sie sind ein Narr, dass Sie Carlos, dem Verräter, in die Nacht gefolgt sind!‹, dachte ich.
Die beiden hatten das Dorf schon fast erreicht, als wir sie einholten.
»Dom Vincente!«, rief ich. »Sie müssen umgehend ins Schloss zurückkehren. Carlos will Sie an die Eingeborenen verkaufen! Gola hat mir erzählt, dass Ihr Neffe nach Ihrem Reichtum ebenso giert wie nach Ysabel! Ein zu Tode erschrockener Eingeborener hat ihm völlig verstört berichtet, er habe in der Nähe der getöteten Holzfäller blutige Stiefelabdrücke gefunden, und Carlos hat die Schwarzen davon überzeugt, dass Sie der Mörder sind! Heute Nacht wird es einen Aufstand geben, bei dem die Schwarzen alle Weißen im
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