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Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)

Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)

Titel: Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert E. Howard
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des großen Tempels. Reihe um Reihe immenser Säulen säumte den breiten Eingang. Der Boden war knöchelhoch mit Sand bedeckt. Die Öffnung zierte ein Rahmen aus massiver Bronze, der früher eine mächtige Tür gestützt haben musste, deren einst glänzendes Holz schon vor Jahrhunderten verrottet war.
    Sie betraten eine mächtige Halle, die in nebligem Zwielicht lag; die Decke wurde durch einen Wald aus Säulen gestützt, die wie riesige Baumstämme wirkten. Die gesamte Architektur war ehrfurchteinflößend und von solch düsterer, atemberaubender Pracht, dass man den Eindruck gewann, der Tempel sei von grimmigen Riesen als Residenz für dunkle Gottheiten erbaut worden.
    Yar Ali setzte angstvoll einen Fuß vor den anderen, als fürchte er, schlafende Götter zu wecken, und auch Steve, der nicht unter demselben Aberglauben wie der Afridi litt, spürte, wie die finstere Erhabenheit dieses Ortes ihre schwarzen Hände auf seine Seele legte.
    Auf dem dick mit Staub bedeckten Boden waren keine Fußspuren zu erkennen; ein halbes Jahrhundert war vergangen, seit der Türke erschrocken wie vom Teufel geritten aus den stillen Hallen geflohen war. Was die Beduinen betraf, war nicht schwer zu verstehen, weshalb die abergläubischen Wüstensöhne diese Geisterstadt mieden, denn sie wurde tatsächlich heimgesucht – wenn auch nicht von echten Geistern, so doch von den Schatten längst vergangener Pracht.
    Als sie durch die sandigen Hallen schritten, die ihnen endlos erschienen, gingen Steve viele Fragen durch den Kopf: Wie konnten diese Menschen, obwohl sie vor dem Zorn wilder Rebellen fliehen mussten, dennoch diese Stadt erbauen? Wie war ihnen die Flucht durch Feindesland gelungen – denn Babylonien lag zwischen Assyrien und der arabischen Wüste? Nun, es hatte einfach keinen anderen Ausweg für sie gegeben; im Westen lagen Syrien und das Meer, und im Norden und Osten wimmelte es von den »gefährlichen Medern« vom unbarmherzigen Volk der Aryas, deren Hilfe Babylons starken Arm im Kampf unbezwingbar gemacht und seine Feinde in den Staub gezwungen hatte.
    Möglicherweise, dachte Steve, war Kara-Shehr – oder wie immer ihr Name in jenen finsteren Zeiten gelautet hatte – vor dem Untergang des Assyrischen Reiches als Außenposten oder Grenzstadt erbaut worden, in die die Überlebenden nach dem Umsturz flohen. Es war jedenfalls möglich, dass Kara-Shehr Ninive um mehrere Jahrhunderte überdauert hatte – eine wahrhaftig eigenartige Einsiedlerstadt, die vom Rest der Welt abgeschnitten war.
    Diese Gegend war, wie Yar Ali gesagt hatte, einst mit Sicherheit fruchtbar gewesen und von Oasen bewässert worden, und zweifellos hatte es in dem Teil des Landes, durch den sie in der letzten Nacht gewandert waren, zahlreiche Steinbrüche gegeben, in denen die Steine für den Bau der Stadt gehauen wurden.
    Was hatte dann ihren Untergang verursacht? Waren die Menschen durch den eindringenden Sand, der auch die Quellen unter sich begrub, dazu gezwungen worden, die Stadt aufzugeben, oder war Kara-Shehr bereits eine Stadt der Stille gewesen, als der Sand über die Mauern kroch? Lagen die Gründe für den Untergang im Inneren oder außerhalb der Mauern? Hatte ein Bürgerkrieg die Einwohner ausgelöscht oder waren sie von einem übermächtigen Feind aus der Wüste massakriert worden? Clarney schüttelte verdrossen und verwirrt den Kopf. Die Antworten auf diese Fragen lagen im Labyrinth vergessener Zeiten verborgen.
    »Allahu akbar!« Sie hatten die große, dunkle Halle durchquert und standen nun am anderen Ende vor einem abscheulichen schwarzen Steinaltar, hinter dem eine antike Gottheit emporragte, bestialisch und grauenhaft. Steve durchzuckte ein Schauer, als er den monströsen Anblick in sich aufnahm – aye, das musste Baal sein, auf dessen schwarzem Altar sich in vergangenen Zeiten zahllose Seelen nackt und schreiend geopfert hatten. Dieses düstere Götzenbild verkörperte mit seiner umfassenden, abgrundtiefen Bestialität die Seele dieser dämonischen Stadt. Die Gebäude von Ninive und Kara-Shehr, da war Steve sicher, unterschieden sich grundlegend von allem, was die Menschen heute schufen. Ihre Kunst und Kultur waren zu schwerfällig, zu düster und zu arm an den leichteren Dingen, die Menschlichkeit ausmachten, zumindest nach den Maßstäben des modernen Menschen. Die Architektur war abstoßend – handwerklich war sie zwar beeindruckend, wirkte aber so massiv, düster und brutal, dass sie für den heutigen Menschen schier unbegreiflich

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