Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
dort versteckte. Nach allem, was ich über ihn gehört hatte, war er ein ungewöhnlicher Mann – ein wildes Tier, eine wahre Bestie, aber von so geringer Intelligenz, dass er selbst gegen den Aberglauben der örtlichen Bevölkerung immun war. Weshalb also sollte er nicht aufgrund seines animalischen Wesens Zuflucht an jenem Ort suchen, an dem seine Verfolger ihn zuallerletzt vermuten würden? Wahrscheinlich führte sein brutales Wesen dazu, dass er die Ängste seiner fantasievolleren Mitmenschen verachtete.
Ich fasste einen Entschluss, zog an den Zügeln, woraufhin das Pferd sich umdrehte, und ritt die alte Straße hinunter.
Nirgendwo sonst ist die Welt so vollkommen lichtleer wie in der Finsternis der Kiefernwälder. Die stummen Bäume stiegen wie Basaltmauern neben mir auf und verdeckten die Sterne. Abgesehen vom gelegentlichen unheimlichen Seufzen des Windes in den Zweigen und dem entfernten Jagdschrei einer Eule war die Stille so vollkommen wie die Dunkelheit. Diese Todesstille lastete schwer auf mir. In der schwarzen Finsternis, die mich umgab, glaubte ich, den Geist der unbezwingbaren Sümpfe zu spüren – die entsetzliche Grausamkeit dieses primitiven Menschenfeindes trotzt noch immer der vielgerühmten menschlichen Zivilisation. In einer Umgebung wie dieser scheint alles möglich. Es wunderte mich nicht, dass so viele Geschichten über Schwarze Magie und Voodoo-Zauber in diesen finsteren Wäldern spielten. Vermutlich hätte mich nicht einmal das Trommeln eines Tomtoms überrascht, das nackte Gestalten anlockte, die bei einem Fest in der Dunkelheit im Feuerschein hüpften und tanzten …
Ich zuckte die Achseln, um solche Gedanken abzuschütteln. Wenn in diesen Wäldern wirklich Voodoo-Anhänger heimlich ihrem Kult huldigten, dann sicher nicht heute Nacht, da eine rachsüchtige Meute das Land durchkämmte.
Während das Pferd, das in dieser Waldgegend aufgewachsen war und sich in der Dunkelheit ebenso sicher fortbewegte wie eine Katze, den Weg ohne meine Hilfe fand, strengte ich all meine Sinne an, um kein Geräusch zu überhören, das vielleicht von einem Menschen stammte. Ich vernahm jedoch keinen schleichenden Tritt und kein noch so leises Rascheln im dünnen Unterholz.
Ich wusste, dass Joe Cagle bewaffnet und verzweifelt war. Er lauerte vielleicht in einem Hinterhalt und würde sich möglicherweise jeden Moment auf mich stürzen – dennoch verspürte ich keine besondere Furcht. Durch den Schleier der Dunkelheit konnte er auch nicht mehr sehen als ich, und falls es zu einem blinden Schusswechsel kommen sollte, standen meine Chancen ebenso gut wie die seinen.
Sollte es hingegen zu einem Kampf Mann gegen Mann kommen – nun, ich wog gut zweihundertfünf Pfund, das meiste Knochen und Muskeln, und das Leben auf der Ranch in Texas hatte mich für jede Form des Kampfes gestählt – und sei es auch ein Kampf auf Leben und Tod. Um die Wahrheit zu sagen: Cagles Drohungen gegen Joan hatten mich so sehr erzürnt, dass ich alle Vorsicht beiseiteschob – es kam mir zu keiner Zeit in den Sinn, dass ich dem verzweifelten, affenähnlichen Flüchtling vielleicht nicht gewachsen sein könnte. Wenn ich ihn erst zu fassen bekam, würde ich ihn zu Brei zerquetschen!
Ich war mir sicher, dass ich nun ganz in der Nähe des verlassenen Hauses sein musste. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es tatsächlich war, doch in der Ferne bohrte sich im Osten ein schwacher Lichtschein durch den dichten Mantel aus schwarzen Kiefern. Der Mond ging auf.
In diesem Augenblick drang aus der Finsternis vor mir plötzlich eine Reihe von Schüssen, aber die Stille legte sich sofort wieder wie ein schwerer Nebel auf den Wald nieder. Ich hielt abrupt inne und zögerte einen Moment. Die Schüsse hatten geklungen, als seien sie alle aus derselben Waffe abgefeuert und nicht erwidert worden. Was war dort draußen in der schrecklichen Dunkelheit passiert? Bedeuteten diese Schüsse Joe Cagles Untergang – oder hatte er erneut zugeschlagen? Hatten sie überhaupt etwas mit Cagle zu tun? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Ich trieb mein Pferd an und trabte etwas schneller weiter.
Wenige Augenblicke später erreichte ich eine weite Lichtung, auf der ein verfallenes, dunkles Haus zu den Sternen emporragte. Endlich, das verlassene Haus!
Das Mondlicht schimmerte unheimlich zwischen den Bäumen hindurch, malte schwarze Schatten und tauchte die Szene in einen trügerischen, geheimnisvollen Glanz. Auch im schwachen Lichtschein erkannte ich, dass das
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