Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
sollen wir jetzt tun?«
Als Antwort drehte ich mich in meinem Sattel um und deutete mit dem Finger. Wir waren um eine Wegbiegung geritten und konnten das alte Haus zwischen den Bäumen gerade noch erkennen. Plötzlich schnellte ein Speer aus Feuer empor, Rauch stieg in den Morgenhimmel auf, und wenige Minuten später hörten wir ein tiefes Grollen, als das gesamte Haus inmitten wütend züngelnder Flammen in sich zusammenstürzte – in den Flammen des Feuers, das ich entzündet hatte, bevor wir aufgebrochen waren. Schon unsere Vorfahren wussten, dass allein das Feuer alles zu zerstören vermag – und während ich zusah, wie das Haus einstürzte, wusste ich, dass der Geist des toten Menschenaffen vernichtet war, und dass die Kiefernwälder für immer vom Schatten der Bestie befreit waren.
Die Kobra aus dem Traum
»Ich habe Angst vor dem Einschlafen!«
Ich sah den Mann, der diese Worte gesprochen hatte, erstaunt an. Ich kannte John Murken seit Jahren und wusste daher, dass er Nerven wie Drahtseile besaß. Als Entdecker und Abenteurer hatte er die ganze Welt bereist, war in ihren einsamsten Winkeln allen erdenklichen Gefahren begegnet. Auch wenn ich viele seiner Taten nicht billigte, so bewunderte ich ihn doch für seine Unerbittlichkeit und seinen Mut.
Aber als er nun in meiner Wohnung vor mir stand, konnte ich wahrhaftigen Schrecken in seinen Augen lesen. Er war ein hochgewachsener, feingliedriger Mann, aber sehr athletisch und so hart wie Stahl und Walknochen – und dennoch schien er zitternd am Rande eines mentalen und körperlichen Zusammenbruchs zu stehen. Sein Gesicht sah verbraucht aus, und in seinen hohlen Augen lag ein unnatürlicher Glanz. Seine nervösen Finger waren unaufhörlich in Bewegung, während er sprach.
»Ja, ich schwebe in Gefahr – in entsetzlicher Gefahr. Aber sie kommt nicht von außen! Sie sitzt in meinem eigenen Kopf! «
»Was willst du damit sagen, Murken? Dass du verrückt bist?«
Er stieß ein abgehacktes, angespanntes Lachen aus. »Ich weiß es nicht. Aber wenn das so weitergeht, werde ich es bald sein. In den letzten beiden Nächten bin ich durch die Straßen gezogen, um mich durch die Bewegung mit Gewalt wach zu halten. Gestern musste ich mich mit Aufputschmitteln vollpumpen, um nicht einzuschlafen, aber heute hilft auch das nicht mehr. Ich stecke in einer schrecklichen Zwickmühle. Wenn ich nicht wenigstens ein bisschen schlafe, werde ich sterben, aber falls ich einschlafe …« Bei diesen Worten erschauderte er und verstummte.
Ich sah ihn mit leichtem Entsetzen an. Es ist ziemlich unheimlich, um zwei Uhr morgens geweckt zu werden und dann einer solchen Geschichte zu lauschen. Mein Blick wanderte zu seinen rastlosen Fingern. Sie waren blutig, ich konnte unzählige kleine Schnittwunden erkennen. Sein Blick folgte meinem.
»Weil ich hin und wieder anhalten und mich für einen Augenblick ausruhen musste, habe ich mir mein Taschenmesser abwechselnd unter die linke oder rechte Hand gebunden, sodass sich meine Hände jedes Mal, wenn ich gegen meinen Willen einzuschlafen drohte und sie sich entspannten, an der Klinge schnitten und dadurch meine betäubten Sinne wieder weckten.«
»Um Himmels willen, Murken, sag mir endlich, wovon du die ganze Zeit sprichst! Wirst du von einem deiner Verbrechen verfolgt und hast jetzt Angst, dass man dich im Schlaf umbringt? Was ist los?«
Er sank auf einen Stuhl nieder. Im Augenblick schien er relativ wach zu sein, auch wenn seine Lider so schwer über seinen Augen hingen, als stehe er kurz vor der völligen nervlichen Erschöpfung.
»Ich werde dir die ganze Geschichte erzählen, und wenn sie wie das Gefasel eines Irren klingen sollte, dann denke bitte daran, dass es Bereiche des Gehirns gibt, die noch gänzlich unerforscht sind, und dass schlichtweg alles möglich ist! Der Schwarze Kontinent! Und damit meine ich nicht Afrika, sondern das menschliche Gehirn!« Er lachte heftig und fuhr dann, wieder ruhiger, fort:
»Vor einigen Jahren bereiste ich eine Gegend Indiens, die nur selten von Weißen besucht wird. Weshalb ich dort war, hat mit meiner Geschichte nichts zu tun. Aber während meines Aufenthalts erfuhr ich von einem Schatz, den der berühmte Bandit Alam Singh angeblich einst in einer Höhle am Fuße der Berge versteckt hatte. Ein abtrünniger Hindu schwor, er habe seinerzeit der Bande des Gesetzlosen angehört und kenne die Höhle, in der dieser Schatz seit nunmehr zwanzig Jahren verborgen lag. Wie sich zeigte, hatte er nicht gelogen.
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