Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
Ich vermute, er wollte den Schatz mit meiner Hilfe heben, mich anschließend umbringen und alles für sich behalten.
Jedenfalls machten wir uns gemeinsam zu den niedrigen Hügeln auf, in deren dichten Wäldern bunt gefiederte Vögel durch die eng verwobenen Zweige flatterten und Affen unaufhörlich kreischten. Nach längerer Suche erreichten wir schließlich eine Höhle, und mein Begleiter schwor, sie sei diejenige, die wir suchten. Sie war sehr groß; ihr Eingang lag, verdeckt von einigen Kletterpflanzen, am Hang. Der Hindu glaubte nicht, dass außer ihm noch jemand von ihr wusste, da die meisten von Alam Singhs Männern schon vor langer Zeit gehängt, der Anführer selbst hingegen bei einem Grenzaufstand getötet worden war, und so traten wir entschlossen ein.
Uns wurde sofort klar, dass das ein Fehler gewesen war. Als wir uns durch die eng verschlungenen Kletterpflanzen schlugen, stürzten sich von allen Seiten dunkle Gestalten auf uns. Wir hatten keine Gelegenheit, uns zu wehren. Den Hindu erstachen sie sofort, mich fesselten sie an Händen und Füßen, dann schleppten sie mich in die Höhle, wo sie eine Öllampe anzündeten. Ihr Licht zeichnete unheimliche Schatten auf die kahlen Höhlenwände, den staubigen Boden und die bärtigen Gesichter, die sich über mich beugten.
›Wir sind die Söhne der Männer, die mit Alam Singh geritten sind‹, sagten sie. ›Wir hüten diesen Schatz seit zwanzig Jahren und werden ihn, wenn nötig, noch weitere zwanzig Jahre bewachen. Wir bewahren ihn für den Sohn von Alams Schwester, der eines Tages den Platz seines berühmten Onkels einnehmen und uns von den englischen Schweinen befreien wird.‹
›Man wird euch wie Alam Singhs Männer hängen, wenn ihr mich tötet‹, entgegnete ich.
›Niemand wird es erfahren. In diesen Hügeln sind schon viele Männer verschwunden, und nicht einmal ihre Knochen hat man je wieder gefunden. Du bist zu einem günstigen Zeitpunkt hier aufgetaucht, sahib; wir hatten bereits beschlossen, den Schatz an einen anderen Ort zu bringen. Du hast die Höhle also ganz für dich alleine!‹ Auf diese Bemerkung hin lachten sie vielsagend.
Ich wusste, dass mein Untergang besiegelt war. Aber mein Schicksal sollte noch viel entsetzlicher werden, als ich es mir vorgestellt hatte …« Der kräftige Körper meines Freundes wurde von einem heftigen Schauder geschüttelt.
»Sie banden meine Hände und Füße an Pflöcke, die sie in den Boden gerammt hatten. Ich vermochte mich nicht mehr zu bewegen, nicht zu rühren, nur meinen Kopf konnte ich zur Seite drehen. Dann trugen sie die größte Kobra, die ich je in meinem Leben gesehen habe, herein und versuchten, sie mit Haken in Schach zu halten – du weißt schon, diese Schlangenhaken, die Schlangenbändiger benutzen, damit das Tier sie nicht beißt.
Sie legten dem Ding eine dünne Schlinge aus ungewirktem Fell um den widerlichen Nackenschild und befestigten das andere Ende des Riemens an einer Nische in der Wand. Natürlich stürzte sich das Reptil sofort auf mich, aber ich lag einige Zentimeter außerhalb seiner Reichweite. Dann hängten sie ein mit Wasser gefülltes Gefäß über den Riemen, an dem die Schlange angebunden war, an die Wand. Das Wasser konnte, Tropfen für Tropfen, durch ein kleines Loch im Boden des Gefäßes entweichen. Die Tropfen fielen auf das steife Fell. Wie du weißt, ist ungewirktes Fell in trockenem Zustand sehr hart und nicht besonders biegsam, wenn es jedoch nass wird, lässt es sich sehr weit dehnen. Trocken war der Riemen zu kurz, als dass die Kobra mich hätte erreichen können, aber als das Wasser darauf tropfte, nahm das Fell langsam immer mehr Flüssigkeit auf, und jedes Mal, wenn die Schlange sich auf mich stürzte, dehnte sich der Riemen etwas weiter. So ließen sie mich zurück, und ich sah, wie sie eine schwere Truhe mit sich nahmen – zweifelsohne der Schatz.
Ich habe keine Ahnung, wie lange ich dort lag. Sekunden zerflossen zu Minuten, Minuten zu Stunden, Stunden zu Ewigkeiten. Das gesamte Universum verblasste, wurde immer enger und konzentrierte sich schließlich nur noch auf einen winzigen Punkt – die Höhle, in der ich lag. Ich starrte mit der Faszination des Schreckens auf den langen geschmeidigen Körper, der sich mit beinahe rhythmischer Regelmäßigkeit auf mich zuschlängelte und sich dann wieder zurückzog, auf den bösartigen Kopf mit den brennenden Augen und auf den breiten, gezeichneten Nackenschild darunter. Ich zappelte und brüllte, aber meine
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