Volk der Verbannten
zu empfangen. Da links steht ein Offizier des Emirs und beobachtet uns. Wenn Ihr keinen Ärger wollt, rate ich Euch, mein Spiel mitzuspielen.«
Der Verbannte warf keinen Blick auf die Soldaten, und kein Muskel seines Gesichts regte sich. Marikani bewunderte stumm seine Reaktion.
Sie setzte erst einen, dann den anderen Fuß ins Wasser. »Wenn ich Euretwegen festgenommen werde, wird der Herr der Verdammten Euren Kopf auf einen Pfahl spießen, darauf gebe ich Euch mein Wort!«, sagte sie, noch immer lächelnd.
»Das ist der Akzent von Harabec!«, flüsterte plötzlich der zweite Verbannte mit aufgerissenen Augen. »Und ein Sklave … Bei Fîr, ich weiß, wer diese Frau ist …«
Marikani drehte sich um und bedeutete Bara, zu ihr zu kommen. In einiger Entfernung runzelte Yassî Eh Mered neben dem Marktstand die Stirn, als fände er, dass die Förmlichkeiten sich sehr lange hinzogen. Der
narbengesichtige Verbannte musste jetzt sofort mitspielen, oder …
Der Verbannte zögerte unmerklich und sagte dann: »Aber natürlich, Ehari!« Er verneigte sich liebenswürdig und legte Marikani dann in einer theatralischen Willkommensgeste die Hand auf die Schulter. »Wir müssen Geschäftliches besprechen. Folgt mir also, wir werden Eure Ladung im Hafen inspizieren.«
Yassî Eh Mered nickte neben seinem Stand mit Trockenfisch befriedigt und wandte sich ab, um sich zu entfernen. Erleichterung durchlief Marikani wie ein Schauer, und sie konnte ein tiefes Seufzen nicht unterdrücken.
Doch die Schwierigkeiten hatten gerade erst begonnen. Sie hatte gelogen: Der Herr der Verbannten erwartete sie nicht, und sie hatte keine Ahnung, wie er reagieren würde, wenn er von ihrer Anwesenheit erfuhr. Sie musste ihn überzeugen, ihr zu helfen, ohne gute Argumente oder Geld zu haben, wohingegen er sie einfach nur denunzieren musste, um …
» Ayashinata Marikani! «, sagte eine kräftige Männerstimme links von ihr.
Totenstille senkte sich über den Markt. Der Mann hatte nicht geschrien, und sein Ton war eher erstaunt als aggressiv, aber er hatte eine klare, volltönende Stimme, und alle hatten ihn gehört: die Kunden, die - die Hände noch nach Obst ausgestreckt - erstarrten. Die Händler, die nun, Eimer oder Münzen noch in der Hand, den Kopf hoben. Die Verbannten.
Und die drei Vahas.
Sie drehten sich langsam wieder um. Yassî Eh Mered musterte erst Marikani und dann den Mann, der gesprochen hatte.
Er war ein Kunde, den Marikani bisher nicht bemerkt hatte - sicher war er gerade erst in die Gasse zwischen den Ständen gekommen. Er war jung und trug die Kriegstracht eines Nâla-Di. Einer seiner Arme war verbunden und unter einem roten Tuch verborgen, aber man konnte anhand seiner Form erahnen, dass ihm die rechte Hand fehlte.
Sein Gesicht wies eine riesige, noch frische Narbe auf.
»Ich habe diese Frau auf der Terrasse in Salmyra gesehen«, verkündete er und deutete mit dem Finger auf Marikani; jetzt mischten sich Wut und Hass in seine Stimme.
Die beiden Vahas eilten auf den Kanal zu, um die Gasse abzusperren. Yassî Eh Mered zögerte noch; er sah den Nalâ-Di an.
»Mein Name ist Essin Eh Maharoud«, sagte der Nalâ-Di, wie um ihn zu überzeugen. »Ich habe auf den Mauern von Salmyra gedient. Ich war da, als die Natur der Demeana offenbar wurde - bevor sie dann am Himmel die größte Blasphemie beging, die die Götter je erlebt haben! Sie ist es! Ayashinata Marikani!«
Dann geschah alles gleichzeitig.
» Verfluchte! «, brüllte der narbengesichtige Verbannte und stieß Marikani äußerst gewaltsam von sich - mit einer wohlberechneten Bewegung, die Marikani nicht auf die Soldaten zu, sondern genau in die Gegenrichtung beförderte, zwischen zwei eng beieinanderstehende Reihen von Buden.
Die Soldaten eilten vorwärts und stießen verblüffte Kunden beiseite.
Marikani fand ihr Gleichgewicht wieder und begann zu rennen. Zu ihrer großen Überraschung schrien die Stadtbewohner vor Entsetzen und flohen vor ihr. Bara warf
sich vorwärts und verschwand hinter einer anderen Reihe von Ständen; er hoffte vielleicht, einen Teil der Vahas hinter sich herlocken zu können.
»Fangt die Verfluchte!«, schrie der narbengesichtige Verbannte mit volltönender Stimme. »Schneidet ihr den Weg ab! Mhali ehaïla salahï maajja! Mhali ehaïla! Mhali ehaïla! «
»Mhali ehaïla« bedeutete in der Geheimsprache der Verbannten, die die Soldaten des Emirs nicht kannten, von der Marikani aber einige Worte aufgeschnappt hatte, nicht etwa »Fangt sie!«,
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