Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
Vom Netzwerk:
weiße Gewänder, und ihre Gesichter waren blau bemalt. Als Marikani sich ihnen zuwandte, blieb die
Jüngere stehen und hielt respektvoll Abstand, während die andere sich tief verneigte. »Tochter Fîrs«, sagte sie, ohne es zu wagen, Marikani in die Augen zu sehen, »wir haben eine Zeremonie vorbereitet, um Eure Rückkehr zu feiern. Das heilige Feuer brennt auf dem Altar, und die Jungfrauen singen das Lied der Erneuerung. Wenn Ihr bereit wärt … Eure Gegenwart wäre so … Wir wagen es zu hoffen, dass …«
    »Nein«, sagte Marikani heftig. Die Frau wurde blass, und Marikani biss sich auf die Lippen. »Was ich sagen wollte … Vergebt mir meinen Tonfall, Hannaï. Ihr wisst, dass ich …«
    Bara griff ein, nahm Hannaï beim Arm und führte sie freundlich beiseite. »Ayesha schätzt Zeremonien und heilige Gesänge nicht«, erklärte er. »Und außerdem wartet der Rat auf uns. Betet ohne sie, sie wird im Geiste bei Euch sein.«
    Mit einem enttäuschten Blick entfernten sich die beiden Frauen, und Bara holte Marikani ein, die ihren Weg rasch fortgesetzt hatte.
    »Bin ich nun die Tochter Fîrs oder die des Gottes, dessen Namen man nicht nennt?«, knurrte sie. »Das sollte man doch wissen.«
    Bara seufzte. »Die Orakel widersprechen sich. Aber Fîr und der Gott, dessen Namen man nicht nennt, sind Brüder, wie Dunkelheit und Licht, Liebe und Gewalt. Vielleicht sind sie in Wahrheit eins, und so …« Er hielt inne, als er Marikanis finsteren Blick bemerkte. »Gut, gut!«, sagte er und konnte ein Lachen nicht unterdrücken. »Ich höre ja schon auf!«
    »Bara, ich habe jahrelang solchen Unfug herunterschlucken müssen«, stieß die junge Frau hervor und
ging noch schneller. »Ich musste stundenlang in zugigen Tempeln herumstehen, während Priester ihre ›geweihten Geschichten‹ umschrieben und die Bedeutung von Vorzeichen so änderten, wie es ihnen gerade passte. Jahrelang nebulöse Erklärungen über Widersprüche in den Texten, während die einfachste die einzig richtige ist: Die Texte widersprechen sich, weil sie Unfug sind!« Sie redete sich immer mehr in Rage, während Bara ihr folgte und sich gegen seinen Willen amüsierte. »Und all das nur, weil ich Königin von Harabec war und das zu meiner Rolle gehörte! Ich bin es nicht mehr, also soll man mich endlich in Frieden lassen!«
    »Jetzt seid Ihr eine Göttin. Werdet Ihr verbieten, dass man an Euch glaubt?«
    »Genau!«
    Bara lächelte und blieb dann einige Schritte vom Becken entfernt stehen. Marikani drehte sich um.
    »Eines Tages werdet Ihr auch selbst an Euch glauben«, sagte er zärtlich.
    Marikani verdrehte die Augen zum Himmel und ging weiter.
     
    »Wir werden den König von Kiranya entführen«, verkündete sie, als sie alle versammelt waren.
    Day-Yan hatte sich von seinen Verehrerinnen losgerissen und war zu ihnen gestoßen. Sie waren zu siebt, sieben Krieger, die wie Bara eine militärische Ausbildung genossen hatten. Allesamt Männer. In den Königreichen konnten nur Frauen von hohem Rang, die über große finanzielle Unabhängigkeit verfügten, die Dienste eines privaten Ausbilders bezahlen, der ihnen den Umgang mit dem Bogen oder mit dem Schwert beibrachte. Und selbst
dann hielten die meisten ihrer Angehörigen nicht viel von solchen Launen.
    Die Frauen aus dem Volk blieben dort, wohin die Götter sie gestellt hatten, in der Küche oder auf den Feldern. Die Tradition wurde natürlich auch auf die Sklaven angewandt, und unter den Frauen, die sich dem Ayesha-Volk angeschlossen hatten, befanden sich zwar ein paar Tänzerinnen, einige Hauslehrerinnen und Schneiderinnen, Köchinnen, Kammerzofen, Musikerinnen und vor allem Landarbeiterinnen, aber keine einzige Kämpferin. »Ayesha« hatte ihre Autorität in die Waagschale werfen müssen, um dafür zu sorgen, dass die Männer diejenigen, die wollten, mit ihnen üben ließen, und trotz ihres Muts wurden die meisten von ihren männlichen Kameraden herumgestoßen und verachtet.
    Die einzige Frau im Rat außer Marikani hatte rote Haare. Sie hieß Moïri, trug bunte Gewänder und vertrat bis zur Rückkehr des Herrn der Verbannten dessen Volk.
    »Den kleinen König von Kiranya entführen?«, wiederholte Day-Yan.
    Haîk runzelte die Stirn. »Um ein Lösegeld zu erpressen?«
    »Nein. Um ihn als Geisel zu halten, bis wir Samara erreicht haben«, erklärte Marikani. »Wir müssen fünfhundert Meilen bewältigen. In fünfzehn Tagen sind wir schon zwei Mal angegriffen worden. Wenn es so weitergeht, kommen wir nie bis

Weitere Kostenlose Bücher