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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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ans Meer.«
    »Wir sind zwei Mal angegriffen worden, ja, aber wir haben auch zwei Mal gesiegt!«, sagte Farer und hob die Hand in einer Gebärde zum Himmel, die an die Bewegung erinnerte, die Marikani während des Großen Opfers
gemacht hatte und die zu ihrer großen Verzweiflung als »Ayesha-Geste« bekannt zu werden begann. »Wir haben sie bis auf den letzten Mann niedergemetzelt. Blut ist geflossen und hat die Runen des Sieges auf den Boden gemalt!«
    Farer deklamierte gern kriegerische Gedichte und hätte jetzt sicher zur » Ode auf das Blut« angesetzt, wenn Day-Yan ihn nicht unterbrochen hätte.
    »Ja, bis auf einen«, sagte er mit sanfter Stimme. »Einer von ihnen wird die Nachricht von unserem Sieg bis ans Ende der Welt tragen und in allen Herzen Furcht vor Ayesha wecken. So große Furcht, dass alle, die sich mit uns messen wollen, das nur mit zitternden Knien und klopfenden Herzen tun werden.«
    »In der Tat, das steckt dahinter«, stimmte Marikani zu. »Aber ich befürchte, dass das nicht ausreichen wird. Wenn wir uns in Scharmützel verstricken und einen Mann nach dem anderen verlieren, werden sie uns ausgeblutet haben, bevor wir den Hafen erreichen.«
    Bara wandte den Blick nach Osten. »Wie können wir den König entführen?«
    Weißer Rauch stieg rings um sie in den Morgenhimmel auf. Das Mittagessen kochte sicher schon in den meisten Töpfen.
    »Gute Frage«, erwiderte Marikani. »Haîk, sag mir noch einmal, wie es um die Anzahl der Truppen bestellt ist …«
    Zwei Stunden später war die Sonne weiter am Himmel vorgerückt; sie begannen ihre leeren Mägen zu spüren und hatten noch immer keine Lösung gefunden. Seit er sich auf dem Konzil in Salmyra gezeigt hatte, hatte der kleine König von Kiranya seinen Palast nicht
mehr verlassen. Dieser lag im Herzen seiner befestigten Hauptstadt. Mit genug Männern in die königlichen Gemächer einzudringen, um die Wachen zu töten und mit ihrer Beute zu fliehen, schien unmöglich. Und außerdem mussten sie, bevor sie Verhandlungen beginnen konnten, sicher ins Lager zurückgelangen, ohne dass sämtliche Armeen der Umgebung ihnen auf den Fersen waren.
    Es gab noch weitere Schwierigkeiten. Marikani kannte die politischen Strömungen am Hof von Kiranya nicht. Es gab irgendwo eine Schwester, die den Zwillingsthron von Kiranya und Kinshara erben würde, wenn der kleine König starb. Sicher würde sie die Truppen befehligen, wenn ihr Bruder entführt wurde. Und was, wenn diese Schwester die Gelegenheit nutzte, die Krone an sich zu bringen? Sie musste sich nur weigern, mit den Barbarenhorden der Demeana einen Vertrag zu schließen, und stattdessen ihre Soldaten losschicken, um sie niederzumetzeln. Ihr Bruder würde sicher im Zuge des Angriffs umkommen, und sie würde ihre Ruhe haben.
    Dann würde das Ayesha-Volk sterben.
    Marikanis Plan fußte auf Vernunft. Es schien ihr, dass jeder würdige Herrscher die Gelegenheit ergreifen musste, einen Konflikt zu vermeiden, wenn im Süden die Sakâs eine weit bedeutendere Bedrohung darstellten. Wenn sie Königin von Kiranya gewesen wäre, hätte sie einen Vertrag geschlossen, die Sklaven durchgelassen und ihre Armee nach Süden geschickt, um die Fürstentümer zu unterstützen.
    Das wäre eine intelligente Entscheidung gewesen. Aber wenn Könige sich immer intelligent verhalten hätten,
hätte der Inhalt der Geschichtsbücher anders ausgesehen.
    Sie aßen schließlich, einen gut gewürzten Eintopf und Graubrot. Nach all den Wochen der Kälte, des Hungers und der Erschöpfung war es ein Luxus, zu jeder Mahlzeit warme Speisen verzehren zu können.
    Einer nach dem anderen schwiegen die Ratsteilnehmer. Die vorgeschlagenen Pläne waren alle abgewiesen worden. Moïri behauptete, dass man dank der Beziehungen und des Geldes der Verbannten und aufgrund der Geheimnisse, die sie in vielen Jahrhunderten erfahren hatten, vielleicht ein oder zwei Personen ins Innere des Palasts würde schmuggeln können. Ein kleines Grüppchen, das so die Gemächer des Königs würde erreichen können. Aber mit dem Kind wieder hinauszugelangen, würde unmöglich sein. Die Palastbewohner und die Stadtbevölkerung würden sich gegen sie wenden.
    Nach dem Essen schloss Marikani die Augen, sog den frischen Geruch des Sees ein und lauschte den Melodien, die in den Himmel aufstiegen.
    Lieder zu Ehren Ayeshas … Als sie den Text hörte, krampfte sich ihr Magen zusammen. Es waren die gleichen Rhythmen und die gleichen Worte der Unterwerfung und Anbetung, die schon in

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