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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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wieder über die Klarheit ihrer Worte gestaunt. Sicher erhielten die Hâman
ein gewisses Maß an religiöser Unterweisung, bevor sie ihre Kunst ausüben konnten.
    Die Hâman hatte dem kleinen Mädchen liebevoll die Hand auf die Schulter gelegt und leise hinzugefügt: »Alles ist mit allem verbunden.«
    Da hatte sich ein kleiner Junge auf Non’iama gestürzt, um sie zu schlagen. Die Hâman war seine Mutter, und er war eifersüchtig auf die Aufmerksamkeit, die sie Non’iama geschenkt hatte. Non’iama hatte ihm den Ellbogen ins Gesicht gerammt, dann beide Hände gehoben und einen Sprechgesang angestimmt, den sie erfunden hatte. Die List hatte gewirkt. Der kleine Junge war entsetzt geflüchtet, während die Hâman fröhlich gelacht hatte.
    Das Feuer glomm weiter, und die Glut war sehr heiß; wenn Non’iama noch lange wartete, würde das Fleischstück verbrennen. Sie sah sich um. Auf der anderen Seite des Feuers lachten und scherzten drei Männer miteinander, die sich den Inhalt einer Feldflasche teilten, der nach würzigen Kräutern und schlechtem Wein roch. Non’iama hob einen Stock auf und spießte dann mit verächtlicher Gebärde, als sei sie von der Qualität der Gabe nicht überzeugt, das Fleisch auf und hob es auf Augenhöhe. Nachdem sie es einige Sekunden mit angeekelter Miene betrachtet hatte, biss sie hinein. Ein Bissen, dann der nächste, immer mit gleichgültiger, hochmütiger Miene.
    Morgen siehst du den König .
    In dieser Nacht schlief sie schlecht.
    Am folgenden Morgen war die Dämmerung wunderschön: Der Himmel war blutfarben und golden. Non’iama erwachte zur gleichen Zeit wie die Krieger, und während schon die ersten Suppen in den Kesseln köchelten, lieh sie sich die Waschschüssel der Hâman und füllte sie an der
Quelle im Süden des Lagers mit frischem Wasser. Zurück an ihrem Feuer wusch sie sich langsam von Kopf bis Fuß. Sie sparte nur die Haare aus, da sie wollte, dass sie weiter wild wie eine Mähne um ihren Kopf abstanden. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, holte sie die Châ-Steine und das Ölfläschchen aus dem Beutel. Sie zerkleinerte die Steine und rührte die Paste an. Dann bemalte sie äußerst sorgfältig ihre rechte Gesichtshälfte, ihre rechte Hand und ihr rechtes Bein mit funkelndem Türkisblau, während einige Sakâs und zwei Hâman sich um sie scharten, um ihr zuzusehen. Danach schüttete sie das schmutzige Wasser weg, füllte die Schale erneut mit Quellwasser und nutzte die Wasseroberfläche als Spiegel, um sich die Raubtiermaske aufs Gesicht zu malen.
    »Ich bin die Hâman der Ayesha«, sagte sie leise, als sie fertig war; dann wandte sie sich den Beobachtern zu und hob beide Hände zum Himmel. »Hâman Ayesha! Hâman Ayesha!«
    Die Männer zerstreuten sich flüsternd, und Non’iama wartete hoch aufgerichtet darauf, dass man sie zum König führen würde.
    Gegen Mittag kam Nôs, um sie zu holen. Die Sonne hüllte die wilden, schmutzigen Krieger, die behelfsmäßigen Zelte und die zerlumpten Kinder in einen goldenen Schimmer. Nôs ging vor ihr her; Non’iama folgte ihm, immer noch sehr aufrecht, und warf allen finstere Blicke zu, die es wagten, sie anzusehen. Sie durchquerten das Lager und gingen dann über eine felsige Freifläche, auf der die Sakâs in Dreiergruppen patrouillierten. Danach stiegen sie einen Hügel hinauf, von dessen Kuppe aus Non’iama ein grünes, fruchtbares Tal sah; in der Ferne lagen Häuser und Bauernhöfe, aus deren Dächern dichter
schwarzer Rauch aufstieg. Sie begegneten Reitertrupps, die lachend miteinander plauderten und Säcke voll Beute bei sich hatten. Einer der Männer hatte eine braunhaarige Frau, die nackt war und schrie, vor sich über den Sattel geworfen.
    Schließlich erreichten sie ein weiteres Lager, das größer als das erste war. Hier hielten sich mehr Menschen auf engem Raum auf. Non’iama und Nôs kamen an einer Feuerstelle vorbei, aus der prasselnde, züngelnde Flammen bis auf doppelte Mannshöhe emporloderten. Soldaten und Hâman tanzten darum herum und sangen Lieder zu Ehren Hâls. Daneben lagen Leichen - ein Berg von toten Männern, Frauen und Kindern, die übereinandergehäuft waren. Non’iama ging daran vorüber, ohne den Blick abwenden zu können. Einer der tanzenden Sakâs packte den Leichnam eines kleinen Jungen und schleuderte ihn wie ein Holzscheit in die Feuerstelle.
    Nôs drehte sich zu dem kleinen Mädchen um und lächelte. »Die Welle des Feuers verzehrt die Lande, und die Feinde der Sakâs brennen und

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