Volkssagen, Maerchen Und Legenden
Felsens, der den andern immer noch unthunlicher erschien, als der erste.
So stritten und zankten sich die Belagerer vor der Höle, bis die Sonne sank. Daneel lachte ihres Zanks und Streits in seiner Felsenburg, und machte schon Entwürfe, um Mitternacht, wenn die Lanzknechte sich zerstreut hätten, oder eingeschlafen wären, sich aus der Höle wegzuschleichen, und sie am folgenden Morgen das leere Nest erobern zu lassen, oder, wenn sie wachen sollten, als brüllender Teufel durchzubrechen. Er wollte sich zunächst in dem benachbarten Gehölz, der Elm genannt, verstecken und von da tiefer ins Harzgebirge gehen, um dort sein Wesen zu treiben. Aber auch seine Entwürfe wurden vereitelt.
Einer der Lanzknechte, dem der Streit zu lange dauerte, hatte sich unbemerkt aus dem Kriegsrath weggezogen, und verkündete auf dem Rückwege zur Stadt und in der Stadt die Nachricht mit allen Vergrößerungen und Zusätzen, die ihm Schrecken und die Begierde, seine Verdienste zu heben, eingaben. Und so strömte, ehe noch die Nacht einbrach, eine solche Menge Volks aus der umliegenden Gegend herzu, daß die Belagerer mit vollem Muthe blieben, und Daneel jetzt nicht entkommen konnte.
»Guter Rath kommt über Nacht,« sagt das Sprüchwort. Und so hatte man sich auch endlich zu dem Entschluß vereinigt, den Räuber in seiner Höle zu ersäufen oder durch den Dampf des kochenden Wassers zu ersticken. Bald nach Anbruch des Tages sahe man hunderte von Armen mit Beilen und Aexten bewaffnet, um alle Bäume und das Gesträuch rings um die Höle her niederzuhauen; und in wenigen Stunden stand der ganze Abhang des Berges so kahl da, wie wir ihn noch jetzt sehen. Dann wurde von allen umliegenden Dörfern Wasser herzugetragen und herbeigefahren. Unterdeß hatten Maurer und Steinbrecher eine ziemlich beträchtliche Oeffnung durch den Felsen, der die Höle von oben bedeckt, durchgearbeitet. Endlich brachte man auch vom Kloster Huyseburg eine große Braupfanne, um in ihr auf einem hoch auflodernden Feuer das Wasser zu kochen.
Nun wurde der eingeschloßne Räuber durch Ströme kochenden Wassers, die man unaufhörlich durch die Oeffnung hineingoß, indem das in Reihe gestellte Volk die gefüllten Eimer von Hand zu Hand reichte, bestürmt und geängstet. Nach einigen Stunden hörte man ihn unruhig bald aus seinem Gemach in den Pferdestall, bald aus diesem in jenes herüberlaufen. Aber nun bemerkte man auch, daß das Wasser, durch eine Menge kleiner nicht zu verstopfenden Ritzen, fast eben so schnell wieder ablaufe, als es hineingegossen werde. Endlich fiel man darauf, das Wasser durch beigemischtes Mehl zu verdicken. Die benachbarten Mühlen und Dörfer mußten ihre Vorräthe liefern; und nun wurde stundenlang unaufhörlich heißer Brei in die Höle hineingeschüttet. Endlich wurde es ganz still in der Höle. Da lange keine Spur vom Leben des Räubers mehr bemerkt war, wurde endlich die eiserne Pforte durch Brecheisen aufgesprengt. Auch gleich am Eingang fand man den zusammengekrümmten Leichnam des Unholds.
76. Der Engel Gottes leitet aus der Baumannshöle.
Ein gewisser Mann, welcher nicht gar weit von der Höle wohnete und dieselbe den neugierigen Reisenden auf ihr Verlangen zeigte, hat sich einstmals einfallen lassen, ganz allein, ohne einigen Gefährten, mit brennenden Lichtern, wie gebräuchlich in die Höle zu steigen, um darin noch eines und des andern weiter zu erkundigen. Nachdem demselben aber die Lichter, in währender Durchsuchung der Höle, eines nach dem andern verloschen, und er zu seinem Unglück das mitgehabte Feuerzeug nicht finden können, hat er sich vergebens bemüht, die Ausfahrt wieder zu treffen, derowegen er darin drei Tage und Nächte ohne Speise zugebracht, im Finstern herumgetappt und so lange in der Irre gewandert, bis ihm endlich ein Engel in Gestalt eines brennenden Lichtes oder Feuers erschienen, und ihn aus der Höle geführt hat.
Als er nun also wunderlich errettet worden und unverhofft wieder aus derselben an das Tageslicht kommen, hat er solches erzählt, aber nur drei Tage darauf noch gelebt, und ist hernach gestorben.
VIII. Sagen und Mährchen aus verschiedenen Gegenden Deutschlands.
77. Das wüthende Heer und Frau Venus Berg.
Unter dem wüthenden Heere versteht man das Jagdgeschrei und Gebell der Hunde, welches man zu Zeiten nächtlich in den Wäldern hört. Manch wilder Jäger und unmilder König, der das Wild in seinen Forsten hegte, auf daß es die Saaten seiner Unterthanen vertilgte,
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