Volkssagen, Maerchen Und Legenden
Bruder, ein Sternseher, hatte ihm diesen Schlupfwinkel aufgesucht, und für seine Absichten eingerichtet. Der Undankbare ermordete ihn, damit sein verborgener Aufenthalt desto weniger verrathen werden könnte.
Lange Zeit hindurch trieb Daneel seine Räubereien in mehrern Theilen des Harzgebirgs von seiner Felsenhöle aus. – Er hatte sie außerdem in einem großen Umkreise, mit verborgenen Schlingen von Draht umgeben, die mit einigen kleinen Glocken in seiner Höle in Verbindung standen, deren Geklirr ihm die Gegend bezeichnete, in die er hineilte, um auch die einzeln vorbeigehenden Wanderer zu berauben.
Diese List verschaffte ihm auch eine Frau und Wirthschafterin. Suse, ein schönes Bauermädchen, aus einem benachbarten Dorfe, verirrte sich, beim Haselnußpflücken, bis in die verwachsene Wildniß, die des Räubers Höle verdeckte. Kaum aber hatte sie den verrätherischen Draht berührt, so sprang Daneel heraus, und haschte und schleppte sie, nach vergeblichem Kampf, in seine Höle. Hier zwang er sie, sein Weib zu werden, und ihm feierlich zu schwören: »ihn nie böslich zu verlassen, und seinen Aufenthalt keinem lebenden Menschen zu verrathen.«
Lange blieb auch der Schlupfwinkel des Räubers unentdeckt. Denn, da er größtentheils in entferntern Gegenden raubte, und sich dann im Dunkel der Nacht in die nicht bemerkbare Höle schlich; so vermuthete man, mehrere Jahre hindurch, seinen Aufenthalt in dem Huy-Walde nicht. Und da endlich die Obrigkeiten der benachbarten Orte durch häufige Klagen aufmerksam gemacht wurden, so täuschte sie Daneel durch mannichfache List. So hatte er, unter andern, seinem Pferde die Hufeisen verkehrt aufgeschlagen, so daß die Spuren, wenn er zuweilen auf demselben heimkehrte, abwärts von seinem Wege führten. Die letzten Spuren verdeckte der Rasen, welcher den Abhang des Berges, in dessen Mitte die Höle lag, überkleidete. Doch, nicht immer schlief die Rache!
Fünf Kinder hatte ihm Suse geboren, und alle fünf Kinder hatte der Unmensch gleich nach der Geburt erstickt, um durch ihr Geschrei nicht verrathen zu werden. – Jetzt endlich gab der Räuber den tausendmal schon versagten Bitten seines Weibes nach, da er von ihrer Treue überzeugt war, und sie nun längst schon vergessen und unkenntlich glaubte, nur einmal in die benachbarte Stadt gehen zu dürfen, um sich einige Kleidungsstücke zu kaufen, die sie schon lange sich gewünscht hatte. – Nach sechs kummervollen Jahren öffnete sich ihr zum erstenmal ihr Kerker, und sie sah bebaute Fluren wieder. Doch mußte sie vorher ihren Schwur mit den stärksten Betheuerungen wiederholen, auch ihm eidlich versprechen, aus der Stadt heimzukehren, ehe das Getümmel in derselben lebhaft würde.
Noch vor Aufgang der Sonne verließ sie die Raubhöle, von tausend Empfindungen bestürmt. Einen Monat vorher hatte sie die klägliche Ermordung ihres fünften eben gebornen Kindes, eines schönen gesunden Knabens, gesehen, und sein Geschrei durchbebte noch immer ihr Ohr; seit dieser Zeit war ihr der Räuber, den sie immer mit finsterem Unmuth heimkehren sah, und dessen Erzählungen von seinen Räubereien sie mit Abscheu hörte, völlig unerträglich geworden. Sie zitterte vor dem Gedanken, in einigen Stunden wieder in die Höle zurückzukehren, und hier, vielleicht auf immer, eingeschlossen zu werden. Und doch – sie band der furchtbarste Eid, und: »Seele verloren, alles verloren,« hallte es immer in ihrem Herzen wieder. So fühlte sie sich jetzt frei, und zugleich an die Höle und den Räuber gekettet.
Als sie an dem Kloster Huyseburg vorbeiging, hoffte sie, ein Engel sollte ihr einen Priester entgegen führen, der sie, ohne daß sie ihm das Geheimniß vorher entdeckte, von ihrem Eide entbände. Aber, kein Priester erschien. Dämmerung und Schlaf deckte noch das Kloster und seine Bewohner. – Sie ging weiter, stand jetzt vor dem Walde, und sahe die Stadt noch im Nebel gehüllt vor sich liegen. Die Stille um sie her war ihr grauvoll; sie fühlte sich einsam und von der ganzen Welt verlassen. – Jetzt ging die Sonne auf, und die ganze schöne Landschaft lag frei vor ihr. Aber ihre Brust war beklommen; es war ihr, als wenn die Morgenluft auf dem freien Berge, die sie sich so oft nur einmal einathmen zu können gewünscht hatte, ihr das Herz zerdrücken wollte. Die Angst beflügelte ihre Schritte; sie kam, ohne einem menschlichen Wesen zu begegnen, zur Stadt, fand die Häuser der Juden, die nahe am Thore wohnten, von denen sie die Kleider
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