Voll Speed: Roman (German Edition)
zu fragen: Warum? Bevor er nicht mehr ist. Doch mit Vätern zu reden – offen und ehrlich zu reden, meine ich jetzt – ist ja an sich schon schwierig. In unserem Fall aber, fürchte ich, unmöglich. Ich meine, hey, so eine Riesenenttäuschung kann ich doch nicht sein, oder? Wenn selbst Rocky mit seinem Gehirn wie eine entsteinte Kirsche meine Qualitäten erkennt.
Während ich Pa nachblicke, wie er den Saal verlässt und in der Dunkelheit des Gangs verschwindet, legt sich eine Pfote auf meine Schulter. »Na komm«, sagt Rufus, »auf uns wartet Arbeit.«
Wir beginnen mit unseren Ermittlungen in Nicks Kammer. Logisch. Zuvor aber müssen wir an Rockys und Roxanes Hochzeitssuite vorbei. Gerade rechtzeitig, um unsere Schwester quietschen zu hören: »Wie eeeeklig ist das denn?«
»Aber Schatzi …«
»Ich bin schwanger – da ist Rohkost total gefährlich! Von so was kann ich Meteoriten bekommen!«
Rocky ist beleidigt: »Ess ich ihn eben selbst …«
Ich schmunzele in mich hinein, doch das Hochgefühl währt nur kurz. In Nicks Kammer erwartet uns nichts als Schwermut. Unser Bruder ist zwar durch die Behandlung der Lanzenotter nicht gestorben, aber richtig leben tut er auch noch nicht wieder. Liegt mit aufgerissenen Augen in der Ecke auf seinem durchgeschwitzten Spiderman-T-Shirt Größe 128 und regt sich nicht. Eine Befragung können wir also vergessen. Ma kniet neben ihm und regt sich ebenfalls nicht. Gemeinsam sehen sie aus wie ein Ölgemälde.
In der Ecke gegenüber lehnt die Postkarte einer ordinären, wenngleich zugegeben ziemlich geilen Erdmännchenschlampe an der Wand, die sich lasziv auf einem erhitzten Stein räkelt.
»Wonach suchen wir?«, fragt Rufus, als er hinter der Postkarte eine schlecht versteckte Teedose entdeckt.
Ich rufe mir das Bild von Justus, dem Breitmaulnashorn, ins Gedächtnis zurück – wie er heute Morgen auf mich zugestürzt kam und das Stahlgeländer aus seiner Verankerung riss. »Ich schätze, wir suchen nach einer Substanz, die für Erdmännchen lebensgefährlich ist und die bei Nashörnern bewirkt, dass sie Stahlgeländer eindrücken und anschließend Sex haben wollen.«
In der Teedose findet sich alles Mögliche: blaue und grüne M&M’s, Präservative mit Erdbeergeschmack, Kugelschreiberhülsen, vier verschiedene Traubenzucker-Varianten, darunter »Energy Pur«-Tabletten mit Koffein-Zusatz, sowie ein Mini-iPod mit Kopfhörern. Nichts, was Nicks Zustand erklären könnte.
»Wer hat Nick noch mal gefunden?«, frage ich.
»Nino.«
Nino. Ich stoße einen Seufzer aus. Nichts gegen Ma, aber entweder sie hat beim vierten Wurf irgendwie Scheiße gebaut, oder die Sternenkonstellation war für’n Arsch, oder sie hat gepanschtes Futter bekommen oder was weiß ich. Jedenfalls hat Nick nur bunte Knete im Kopf, Nino hat nur bunte Knete im Kopf, und beide zusammen sind wie ein Feuertanz mit Sprengstoffgürtel. Ist nur eine Frage der Zeit, bis der explodiert.
Leider findet sich auch in Ninos Kammer kein brauchbarer Hinweis. Das Einzige, was wir dort finden – außer Nino selbst –, ist Natalie. Rufus’ Verlobte. Sitzt mit gespreizten Beinen auf einer Duplo-Schachtel, das Gesicht zur Wand, während Nino hinter ihr steht und … Großer Gott, das sieht echt ganz schön versaut aus.
Rufus schnalzt zusammen wie ein Luftballon, als er Natalie erblickt: »Was machst du denn hier?«, stößt er hervor.
Ganz ehrlich: Die Frage ist komplett überflüssig. Ist, wie einen Savannenadler mit einer Maus im Schnabel zu fragen: »Was willst du denn mit der?«
Natalie schiebt artig ihre Knie zusammen: »Hallo, Schatz«, trällert sie, »das ist ja’n Zufall.«
Rufus hängt fest. Bevor Natalie seine Frage nicht beantwortet hat, macht sein Gehirn keinen Mucks: »Was machst du hier?«
»Ich hab da sone Stelle, weißt du?«, erklärt sie. »Am Rücken. Das juckt total … Und da hab ich Nino gefragt, ob er nicht mal gucken kann, ob da ’ne Zecke oder so drinhängt …«
»Im Dunkeln?«, will Rufus wissen.
Im Kegel von Rufus’ Lampe presst Nino die Kiefer aufeinander. Ich finde ja, er sieht genauso aus wie jemand, der gerade mit der Verlobten seines Bruders erwischt worden ist. Natalie jedoch scheint fest entschlossen, die Ich-bin-die-Unschuld-aus-der-Savanne-Nummer durchzuziehen.
»Nino meinte, ertasten wär einfacher«, zwitschert sie.
Ich bin mir nicht ganz sicher, wonach Nino da eben getastet hat, aber eins weiß ich: Eine Zecke war’s nicht. Jetzt ist eigentlich der Moment
Weitere Kostenlose Bücher