Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
möglichst wenig Beteiligung an zeitaufwendiger universitärer Selbstverwaltung und keine riesigen Lehrveranstaltungen mit Bergen von Klausuren, die auf Korrektur warten. Stattdessen maximale Zeit für Forschung auf hohem Niveau und Einsatz in jenem Bereich der Lehre, der sehr forschungsnah ist. Und vor allem: möglichst viel Freiheit für die gedankliche Entfaltung, und zwar auf Augenhöhe mit den älteren Kollegen der Fakultät.
Genau in diese Reformrichtung bewegen sich die deutschen Universitäten bereits heute. Der Schlüssel dazu: die Einrichtung von Juniorprofessuren mit sehr schmalem Lehrdeputat und praktisch ohne administrative Verpflichtungen. Die traditionelle „Statusgruppe“ der Assistenten spaltet sich damit stärker auf als früher: in die ganz jungen, noch nicht promovierten, die noch beweisen müssen, dass sie gut forschen können; und die „Post-Docs“, die auf eine Juniorprofessur berufen wurden und dort fast nur das tun, was sie am besten können – forschen! Deutschland nähert sich damit dem Modell der angloamerikanischen Spitzenforschung an.
Auch auf diesem neuen Weg gibt es Risiken. Sie liegen vor allem darin, dass die Selbstverwaltung der Hochschulen – ein hohes Gut der Wissenschaftsfreiheit – weiter wegrückt von jenen, die diese Wissenschaft durch ihre Forschung tragen. Die klassische Universität im Geiste Humboldts wird immer mehr zur professionell durchorganisierten Produktionsstätte von neuen Ideen. Vielleicht ist dies der unvermeidliche Preis, den Wettbewerb, Globalisierung und eben auch Demografie verlangen. Ob es wirklich lohnt, ihn zu zahlen, wird die Zukunft zeigen.
Aus einer ökonomischen Zukunftsperspektive ist das Bild ohnehin noch viel komplexer, als sich vielleicht jemals in empirischen Studien zur Vergangenheit zeigen lässt. Der Grund: Unternehmen passen sich an neue Verhältnisse an. Die historische Erfahrung lehrt, dass sie, wenn es denn sein muss, eine beträchtliche Fähigkeit entwickeln, mit veränderten Knappheiten bestmöglich umzugehen. Den Anstoß dazu gibt die Alterung der Gesellschaft selbst. Sie sorgt dafür, dass junge Fachkräfte mit den benötigten „fluiden“ kognitiven Fähigkeiten am Arbeitsmarkt sehr gesucht und teuer werden. Die Lohnstruktur wird sich deshalb verändern, und zwar zunächst eindeutig zugunsten der Jüngeren und zulasten der Älteren. Genau dies ist in Deutschland bereits für die nächsten Jahre zu erwarten, wenn es zunehmend schwieriger wird, junge Auszubildende überhaupt am Markt zu finden. Und dies setzt dann eine lange Kette von Reaktionen in Bewegung, die im Ergebnis gerade die Produktivität der Älteren – und schließlich aller zusammen – deutlich erhöht.
Der Prozess könnte dabei wie folgt aussehen. Der hohe Marktlohn junger Fachkräfte sorgt dafür, dass Unternehmen alles tun, um diese Kräfte bestens zu motivieren und einzusetzen (und nicht zu verlieren!). Eine neue Welle der Optimierung betrieblicher Strukturen wird die Folge sein. Man könnte sie als Spezialisierung hin zu den Kernkompetenzen bezeichnen, eine verstärkte Arbeitsteilung auf betrieblicher Ebene: Junge Fachkräfte werden nur mehr dort eingesetzt, wo tatsächlich ihre Fähigkeiten besonders stark zur Geltung kommen. Dies ist gerade der Bereich der „fluiden“ Kompetenz: Überall dort, wo Innovationskraft, Lernfähigkeit und Flexibilität in besonders hohem Maße gefordert sind, wird die (relativ kleine) Zahl junger Menschen das Feld beherrschen. Alle anderen Aufgaben erledigen die Älteren.
Wie diese Arbeitsteilung in der konkreten betrieblichen Organisation aussehen wird, ist heute weitgehend Spekulation. Sie kann bedeuten, dass Ältere und Jüngere durchaus eng zusammenarbeiten, aber stets in Teams, in denen die Aufgaben so verteilt sind, dass sich „fluide“ und „kristalline“ Fähigkeiten optimal ergänzen. Vorstellbar ist aber auch, dass sich die betriebliche Organisation stärker nach Aufgabenbereichen zerlegt, in denen Jüngere und Ältere unter sich bleiben. Sie kann auch zwischen Branchen mit unterschiedlichen Techniken und Produkten oder sogar zwischen Unternehmen mit eigenen Philosophien unterschiedlich ausfallen. Jedenfalls wird das Ergebnis so sein, dass schließlich viel mehr Reserven an Produktivität mobilisiert werden, als ohne die extreme Knappheit an jungen Fachkräften ökonomisch nötig gewesen wäre. Wie stets wird die schiere Not die Suche nach neuen Lösungen beflügeln und die betriebliche Fantasie
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