Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
am deutschen Arbeitsmarkt allzu lange im kritischen Bereich relativ niedriger Einkommen verharrt. Er wird schnell einen Aufstieg erleben und dabei auch nicht den Arbeitsplatz eines deutschen Kollegen gefährden, denn es geht ja gerade um „Mangelberufe“, in denen besonders große Übernachfrage herrscht. Natürlich reduziert sich dadurch jener Zusatzgewinn der Knappheit, den deutsche Arbeitskräfte sonst erzielen könnten. Aber dies ist ja aus volkswirtschaftlicher Sicht gerade der Sinn der Zuwanderung: Sie hilft, Engpässe des Wachstums zu beseitigen. Und sie kommt deshalb letztlich der gesamten Gesellschaft zugute.
Klar ist allerdings auch, dass sich diese Erkenntnis in Deutschland noch nicht in der Breite durchgesetzt hat. Der Mangel an Fachkräften wird noch immer nicht als Problem wirklich ernst genommen. Es müssen wohl noch einige Jahre vergehen, bis die Klagen der Wirtschaft so laut werden, dass ein Umdenken erfolgt. Dann mag die Zeit kommen für ein völlig neues Modell der Einwanderung, etwa ein sogenanntes Punktesystem wie das in Kanada übliche, das verschiedene Kriterien wie Schulbildung, berufliche Qualifikation und Erfahrung, Alter und Anpassungsfähigkeit sowie Sprachkenntnisse angemessen gewichtet. Und erst dann werden auch die privaten Unternehmen bereit sein, massiv in zugewanderte Auszubildende zu investieren.
Bis dahin können jedenfalls die Politiker in bevölkerungsreichen Entwicklungsländern mit wanderungsbereiten Fachkräften noch relativ ruhig schlafen. Allerdings ist die langfristige Sorge über einen „brain drain“ nur zu berechtigt. Ihr zu begegnen liegt allerdings auch in der Verantwortung der betreffenden Länder. Sie müssen durch kluge Politik Standortbedingungen schaffen, die den Menschen im eigenen Land eine Perspektive geben, ihr Leben vernünftig zu gestalten. Denn sein Glück dort zu suchen, wo es zu finden ist, gehört zum Recht des Menschen.
Es bleibt schließlich als wichtiges Instrument die „klassische“ Bildungs- und Ausbildungspolitik. Der Staat kann natürlich alles daransetzen, auf längere Sicht die Zahl der Absolventen all jener Berufsausbildungen und Studiengänge zu erhöhen, die im (erfreulichen) Verdacht stehen, besonders viele und gute technisch innovationskräftige Arbeitskräfte hervorzubringen. Entsprechende Maßnahmen liegen auf der Hand: von der Verbesserung der mathematischen und naturwissenschaftlichen Ausbildung in den Grund-, Real- und Berufsschulen sowie Gymnasien über die selektive Unterstützung höherer Lehreinrichtungen (Fachhochschulen und Universitäten) bis zu gezielten Werbemaßnahmen für entsprechende Studiengänge und Berufe. All dies ist sinnvoll und möglich, zumal bei den sehr niedrigen Kapitalkosten, mit denen für den Staat und für private, möglicherweise subventionierte Kreditnehmer zu rechnen ist. Allerdings bleibt fraglich, wie viel zusätzliches Potenzial an Menschen hier überhaupt noch erschlossen werden kann. Immerhin verfügen bereits heute rund 25 Prozent aller Erwerbstätigen über einen Universitäts-, Fachhochschul- oder Meisterabschluss. 99 Eine drastische Erhöhung dieses Anteils ohne Qualitätseinbuße ist wohl keineswegs leicht zu erreichen. Geht aber der Anstieg einzelner (guter) Qualifikationen zulasten anderer, so zieht dies bei weitverbreiteter Knappheit an Arbeitskräften besondere Engpässe an anderer Stelle nach sich.
Lediglich in zwei Bereichen gibt es wohl auf absehbare Zeit noch einen deutlichen Spielraum für eine Verbesserung der qualifizierten Erwerbstätigkeit. Dies betrifft zum einen die Frauen, deren Erwerbsbeteiligung heute in Deutschland im europäischen Vergleich im Mittelfeld – und nicht in der Spitzengruppe – liegt. 100 Ihre Mobilisierung bringt zwar nur wenig Entlastung für den Arbeitsmarkt als Ganzes, weil ihre hochproduktive Tätigkeit in privaten Haushalten ersetzt werden muss durch entsprechende Haushaltsunterstützung und Familienbetreuung, die zusätzliche Arbeitskräfte leisten müssen, die dann wiederum für andere Aufgaben nicht zur Verfügung stehen. Es könnte aber durchaus dabei ein Zuwachs an Innovationskraft herauskommen, und zwar vor allem dann, wenn begabte junge Frauen weit stärker als bisher in technikaffine Berufe strebten. Dazu bedarf es angemessener Maßnahmen der Familienpolitik, vor allem der Verbesserung des Angebots an Plätzen zur Kinderbetreuung. Entsprechende Reformen sind in Deutschland auf dem Wege. Selbst wenn sie erfolgreich sind, wird allerdings
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