Vollendet (German Edition)
verrückt? Was machst du hier?«
Als ein Betreuer die beiden sieht, geht er schnurstracks auf sie zu. Zehnte und Schreckliche haben nichts miteinander zu schaffen.
»Es ist schon in Ordnung«, erklärt Lev dem Angestellten. »Ich kenne ihn von zu Hause. Ich wollte mich nur von ihm verabschieden.«
Der Mann nickt widerstrebend. »Na gut, aber beeilt euch.«
Lev zieht Blaine zur Seite, damit niemand sie hören kann. »Wir machen es heute«, sagt er. »Wir warten nicht mehr.«
»Hey«, sagt Blaine. »Ich entscheide, wann wir es tun, und ich sage, wir warten noch.«
»Je länger wir warten, desto größer wird das Risiko, dass die Sache zufällig losgeht.«
»Na und? Lass doch das Chaos regieren.«
Lev würde Blaine am liebsten eine kleben, doch dann würden sie einen fünfzig Meter breiten Krater hinterlassen. Deshalb zieht er die einzige Karte, die Blaine beeindrucken wird.
»Sie wissen von uns«, flüstert er.
»Was?«
»Sie wissen noch nicht, wer es ist, aber sie wissen, dass Klatscher hier sind. Bestimmt untersuchen sie jetzt gerade die Bluttests auf ungewöhnliche Werte. Es wird nicht lange dauern, bis sie uns haben.«
Blaine flucht mit zusammengebissenen Zähnen. Er denkt einen Moment nach und schüttelt dann den Kopf. »Nein. Nein, ich bin noch nicht bereit.«
»Es spielt keine Rolle, ob du bereit bist. Du willst Chaos? Also, heute gibt es Chaos, ob du es willst oder nicht – denn wenn sie uns finden, was glaubst du wohl, werden sie mit uns machen?«
Dieser Gedanke scheint Blaine noch weniger zu schmecken. »Uns sprengen, draußen im Wald?«
»Oder draußen in der Wüste, wo niemand etwas davon mitbekommt.«
Blaine denkt einen Augenblick nach und nimmt dann einen tiefen, zittrigen Atemzug. »Ich sage es Mai beim Mittagessen. Wir machen es um punkt zwei Uhr.«
»Ein Uhr.«
Lev durchwühlt hektisch seinen Spind. Die Socke muss doch da sein! Er kann sie einfach nicht finden. Die Zünder sind nicht entscheidend, aber mit Zündern ist es sauberer. Lev möchte, dass es sauber abläuft. Sauber und schnell.
»Das ist meiner.«
Als sich Lev umdreht, sieht er sich dem flachsblonden Jungen mit den smaragdgrünen Augen gegenüber. »Das ist mein Spind. Deiner ist da drüben.«
Lev hat sich um ein Bett vertan. Auf den Stationen gibt es keinerlei Zeichen, mit denen sich die Betten oder Spinde auseinanderhalten lassen.
»Wenn du Socken brauchst, kann ich dir aber auch welche leihen.«
»Nein, ich habe selber genug, danke.« Er atmet tief ein, schließt die Augen, um seine Panik in den Griff zu bekommen, und geht zum richtigen Spind. Die Socke mit den Zündern ist da. Er steckt sie sich in die Tasche.
»Hast du was, Lev? Du siehst irgendwie komisch aus.«
»Nein, es ist nichts. Ich bin nur gelaufen, das ist alles. Auf dem Laufband.«
»Nein, bist du nicht«, sagt der andere. »Ich war gerade im Fitnessraum.«
»Kümmer dich gefälligst um deine eigenen Angelegenheiten, okay? Wir sind schließlich keine Kumpel.«
»Sollten wir aber sein.«
»Nein. Du kennst mich nicht. Ich bin nicht wie du, okay? Also lass mich einfach in Ruhe!«
Da ertönt hinter ihm eine tiefe Stimme. »Das reicht, Lev.«
Als er sich umdreht, sieht er einen Mann im Anzug vor sich stehen. Er ist kein Pastor, sondern der Betreuer, der ihn vor einer Woche aufgenommen hat. Das ist kein gutes Zeichen.
Der Betreuer nickt dem flachsblonden Jungen zu. »Danke, Sterling.« Der Junge senkt den Blick und eilt hinaus. »Wir haben Sterling damit beauftragt, dich im Blick zu behalten und zu beobachten, wie du dich eingewöhnst. Wir sind, um es gelinde auszudrücken, besorgt.«
Lev sitzt mit dem Betreuer und zwei Pastoren in einem Zimmer. Die Socke beult sich in seiner Hosentasche. Lev wibbelt nervös mit den Beinen, bis ihm einfällt, dass er keine starken Bewegungen machen sollte, weil er sonst womöglich in die Luft fliegt. Er zwingt sich zur Ruhe.
»Du scheinst Probleme zu haben, Lev«, sagt der Betreuer. »Wir würden gern nachvollziehen, welche.«
Lev sieht auf die Uhr. 12:48. Zwölf Minuten. Zwölf Minuten, bis er, Mai und Blaine sich treffen und die Sache durchziehen wollen.
»Ich werde geopfert«, sagt Lev. »Ist das nicht Grund genug?«
Der jüngere der beiden Pastoren beugt sich vor. »Jedes Zehntopfer soll den geteilten Zustand in der angemessenen Gemütsverfassung erreichen. Das ist uns ein Anliegen.«
»Es ist unsere Aufgabe, euch bestmöglich vorzubereiten.« Der ältere Pastor zwingt sich zu einem Lächeln, das mehr wie
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