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Vollendet (German Edition)

Vollendet (German Edition)

Titel: Vollendet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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eine Grimasse aussieht.
    Lev würde am liebsten schreien, weiß aber, dass er so auch nicht schneller hier rauskommt. »Ich will einfach im Moment nicht mit anderen zusammen sein. Ich würde mich lieber alleine vorbereiten, okay?«
    »Nein, das ist nicht okay«, sagt der ältere Pastor. »Das entspricht nicht unserer Vorgehensweise. Wir unterstützen uns hier gegenseitig.«
    Der jüngere Pastor beugt sich wieder vor. »Du musst den anderen eine Chance geben. Es sind gute Kinder.«
    »Aber ich bin es nicht!« Lev kann nicht umhin, wieder auf die Uhr zu gucken. 12:50. Mai und Blaine sind in zehn Minuten da. Was ist, wenn er dann immer noch in diesem bescheuerten Büro sitzt? Wäre das nicht super?
    »Musst du irgendwohin?«, fragt der Betreuer.
    Nun kommt es auf die richtige Antwort an, sonst schöpfen sie wirklich Verdacht. »Ich … ich habe gehört, dass der, der mich entführt hat, heute umgewandelt wird. Ich habe mich nur gefragt, ob es schon geschehen ist.«
    Die Pastoren sehen einander und dann den Betreuer an, der sich betont gelassen in seinem Stuhl zurücklehnt. »Wenn nicht, so wird es bald geschehen. Lev, ich glaube, es wäre gut für dich, wenn du darüber reden würdest, was dir als Geisel widerfahren ist. Es war bestimmt schrecklich, aber wenn man darüber spricht, ist die Erinnerung nicht mehr so erdrückend. Ich würde mit deiner Gruppe heute Abend gern eine Sitzung abhalten. Da hättest du Gelegenheit, den anderen mitzuteilen, was du im Moment noch in dir verschließt. Du wirst feststellen, dass sie sehr verständnisvoll sind.«
    »Heute Abend«, sagt Lev. »Okay. Gut. Heute Abend werde ich über alles reden. Vielleicht haben Sie recht, und mir geht es dann besser.«
    »Wir möchten nur, dass du deine innere Ruhe findest«, sagt einer der Pastoren.
    »Kann ich dann jetzt gehen?«
    Der Betreuer mustert ihn noch einen Augenblick. »Du wirkst so verkrampft. Ich würde gern noch ein paar Entspannungsübungen mit dir machen …«

63. Wachmann
    Er hasst seine Arbeit, er hasst die Hitze, er hasst es, stundenlang vor dem Schlachthaus zu stehen und die Tür zu bewachen, damit niemand Unbefugtes hinein oder hinaus geht. Als er noch im Waisenhaus war, hatte er mit seinen Kumpels davon geträumt, eine Firma zu gründen. Aber Kids aus dem Waisenhaus bekommen keinen Gründungskredit. Auch nachdem er seinen Nachnamen von Ward in Mullard geändert hatte – den Namen der reichsten Familie in der Stadt –, konnte er niemandem etwas vormachen, denn wohl die Hälfte der ehemaligen Heimbewohner hatte diesen Namen angenommen. Am Ende hat er nur sich selbst etwas vorgemacht. Seit er aus dem Heim ist, hat er eine Vielzahl unbefriedigender Jobs angenommen, zuletzt den als Wachmann im Ernte-Camp.
    Auf dem Dach hat die Band ihre Nachmittagsvorstellung begonnen. Damit vergeht die Zeit zumindest ein bisschen schneller.
    Zwei Wandler kommen die Stufen zu ihm herauf. Sie werden nicht von Wachen eskortiert und haben Teller in der Hand, die mit Alufolie abgedeckt sind. Dem Wachmann gefallen sie nicht. Der Kerl hat eine Glatze. Das Mädchen ist Asiatin.
    »Was wollt ihr? Ihr habt hier nichts zu suchen.«
    »Wir sollen das der Band bringen.« Beide wirken nervös und verschlagen. Das ist nichts Neues. Alle Wandler sind in der Nähe des Schlachthauses nervös, und in den Augen des Wachmanns haben alle Wandler etwas Verschlagenes an sich.
    Der Wachmann wirft einen Blick unter die Alufolie. Brathuhn und Kartoffelbrei. Hin und wieder wird der Band etwas zu essen geschickt, doch sonst bringen es nicht Wandler, sondern Angestellte. »Ich dachte, die hätten gerade zu Mittag gegessen.«
    »Anscheinend nicht«, antwortet der Glatzkopf. Er sieht aus, als wäre er gern irgendwo sonst auf der Welt, nur nicht vor dem Schlachthaus. Deshalb beschließt der Wachmann, die beiden noch ein bisschen länger zappeln zu lassen.
    »Ich muss erst rückfragen«, behauptet er. Über das Handy ruft er beim Empfang an. Die Leitung ist besetzt. Typisch. Der Wachmann fragt sich, womit er sich mehr Ärger einhandelt: wenn er die beiden das Essen hineinbringen lässt oder wenn er sie abweist, obwohl die Verwaltung sie geschickt hat. Er betrachtet den Teller in der Hand des Mädchens. »Lass mich mal sehen.« Er schlägt die Alufolie zurück und nimmt sich das größte Stück Hühnchen. »Geht durch die Glastür, und nehmt dann die Treppe zu eurer Linken. Wenn ich euch anderswo erwische als da oben, jage ich euch schneller eine Betäubungskugel in den

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