Vollendet (German Edition)
besserer Zeitpunkt . Wenn er Geduld hatte und auf der Hut war, würde der perfekte Moment kommen.
So zu tun, als sei er einer von ihnen, als sei er wie sie, erforderte seine gesamte Willenskraft. Nur die Gewissheit, dass bald alles so sein würde, wie es sein sollte, hielt ihn aufrecht.
Als der Streifenwagen um die Ecke bog, war Lev eigentlich bereit, sich auf das Auto zu stürzen und sich zu stellen. Nur eines hielt ihn davon ab – ihre fehlenden Fotos in der Zeitung.
Das beschäftigte Lev mehr als die anderen. Seine Familie hat Einfluss. Mit ihr ist nicht zu spaßen. Er war ganz sicher gewesen, dass sein Bild groß auf der ersten Seite prangen würde, und deshalb wusste er nicht, was er davon halten sollte, dass seine Entführung mit keinem Wort erwähnt wurde. Sogar Risas Vermutung, seine Eltern könnten die Absicht verfolgen, sie und Connor töten zu lassen, erschien ihm durchaus möglich.
Würden die Polizisten mit scharfer Munition auf Risa und Connor schießen, wenn er sich stellte? Die beiden hatten eine Strafe verdient, aber die Vorstellung, für ihren Tod verantwortlich zu sein, war ihm unerträglich. Deshalb ließ er den Streifenwagen vorbeifahren.
Und jetzt ist alles noch schlimmer. Jetzt ist auch noch dieses Baby dabei. Ein gestorchtes Baby stehlen! Diese beiden Wandler sind vollkommen durchgedreht. Er hat keine Angst mehr, dass sie ihn töten, aber das macht sie nicht weniger gefährlich. Man muss sie vor sich selbst schützen. Sie müssen … sie müssen … sie müssen umgewandelt werden! Ja, das ist die beste Lösung für die beiden. In ihrem gegenwärtigen Zustand sind sie für niemanden von Nutzen, am wenigsten für sich selbst. Wahrscheinlich wäre es eine Erleichterung für sie, denn jetzt sind sie vollkommen aufgelöst. Besser wäre es, sie wirklich aufzulösen. In dem Bewusstsein, dass ihr Blut und ihre Organe in der Welt verteilt werden, Leben retten und andere Menschen wieder heilen, würde ihr zersplitterter Geist Ruhe finden. So wie auch sein Geist bald Ruhe finden wird.
Im Bus sitzend denkt er darüber nach und will nicht wahrhaben, was für gemischte Gefühle solche Gedanken bei ihm auslösen.
Während Risa und Connor mit einem schrecklich aufdringlichen Mädchen mit Baby reden, rutscht Lev eine Reihe weiter nach vorn, um mehr Abstand zwischen sie zu bringen. Ein Junge steigt in den Bus und setzt sich neben ihn. Er hat Kopfhörer auf und singt zu Musik, die Lev nicht hört. Seinen Rucksack stellt er zwischen sie auf den Sitz, sodass Lev richtig eingezwängt wird. Dann konzentriert er sich ganz auf seine Musik.
Da hat Lev eine Idee. Er dreht sich um. Connor und Risa sind immer noch mit dem Mädchen und ihrem Baby beschäftigt. Vorsichtig greift er in den Rucksack des Jungen und zieht einen verknickten Notizblock heraus. TOD DURCH ALGEBRA steht in großen schwarzen Buchstaben darauf, die mit kleinen Totenköpfen und gekreuzten Knochen verziert sind. Im Innenteil findet Lev ein Chaos aus mathematischen Gleichungen und Hausaufgaben, die wegen der schlampigen Darstellung schlecht benotet wurden. Lev blättert zu einer leeren Seite, greift noch einmal in den Rucksack und zieht einen Stift heraus. Der Junge ist in seine Musik vertieft und merkt nichts. Lev beginnt zu schreiben.
Hilfe! Ich werde von zwei Wandlern als Geisel festgehalten. Nicke, wenn du verstanden hast …
Als er fertig ist, stupst er den Jungen an der Schulter. Er muss zweimal stupsen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
»Ja?«
Lev hebt den Notizblock an, vorsichtig darauf bedacht, dass niemand es sieht.
Der Junge schaut ihn an: »He, das ist meiner.«
Lev holt tief Luft, denn Connor schaut gerade zu ihm her. Er muss vorsichtig sein. »Ich weiß.« Lev versucht, möglichst viel mit den Augen zu sagen. »Ich hab … nur … eine … Seite … gebraucht …«
Er hält den Block ein bisschen höher, damit sein Sitznachbar lesen kann, was auf dem Blatt steht, aber der Junge schaut nicht einmal hin. »Nein! Du hättest vorher fragen müssen!« Damit reißt er die Seite heraus, ohne einen Blick darauf zu werfen, knüllt sie zusammen und wirft sie zu Levs Entsetzen quer durch den Bus. Das Papierknäuel prallt vom Kopf eines mitfahrenden Jungen ab, der es gar nicht beachtet, und fällt auf den Boden. Der Bus hält an. Levs Hoffnungen werden von dreißig Paar ausgelatschten Schuhen niedergetrampelt.
14. Connor
Einige Dutzend Busse halten vor der Schule, und jede Tür ist umlagert. Als Connor mit Risa und Lev
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