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Vollendet (German Edition)

Vollendet (German Edition)

Titel: Vollendet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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ruft in einem vorwurfsvollen Ton: »Los, Leute, sonst verpassen wir wieder den Bus!«
    Der Polizeiwagen ist jetzt direkt neben ihnen. Connor dreht ihm nach wie vor den Rücken zu und weiß nicht, ob die Polizisten im Innern sie beobachten. Falls ja, dann hören sie hoffentlich ihre Unterhaltung und halten sie für das übliche morgendliche Chaos, ohne genau darüber nachzudenken. Levs Version von »sich normal verhalten« besteht darin, mit weit aufgerissenen Augen und stocksteif vorsichtige Schritte zu machen, als überquerte er ein Minenfeld. So viel zum Thema unauffällig. »Geht’s noch langsamer?«, schreit Connor. »Wenn ich noch mal zu spät komme, muss ich nachsitzen.«
    Der Streifenwagen rollt an ihnen vorbei. Vor ihnen nähert sich der Bus der Haltestelle. Connor, Risa und Lev laufen über die Straße – alles Teil des Theaters, falls die Bullen sie im Rückspiegel beobachten. Natürlich könnte das auch ins Auge gehen, überlegt Connor, denn die Bullen könnten sie anhalten, weil sie die Straße verkehrswidrig überquert haben.
    »Steigen wir wirklich in den Bus ein?«, fragt Lev.
    »Natürlich nicht«, sagt Risa.
    Jetzt wagt Connor einen Blick zu dem Polizeiwagen. Der Blinker ist gesetzt worden. Der Wagen biegt ab, und dann sind sie sicher … Aber da bremst der Schulbus, und während die Türen aufgehen, fangen die roten Lichter an zu blinken. Connor flucht innerlich: Der gesamte Verkehr muss anhalten, sobald die roten Lichter blinken, und darf erst weiterfahren, wenn auch der Bus wieder losfährt.
    Das Polizeiauto kommt ein paar Meter vor der Einmündung zum Stehen und wartet, bis die Schüler eingestiegen sind, und es wird immer noch genau dort stehen, wenn der Bus wieder abfährt. »Mist. Jetzt müssen wir in den Bus einsteigen.«
    Als sie den Gehweg erreichen, nimmt Connor auf einmal ein Geräusch wahr, das bislang zu leise und zu unwichtig gewesen ist, als dass er sich darum gekümmert hätte: das schreiende Baby.
    Auf der Veranda des Hauses direkt vor ihnen liegt ein Bündel, und das Bündel bewegt sich.
    Connor begreift sofort, denn er hat es schon einmal gesehen. Vor seinem Elternhaus hat zwei Mal ein gestorchtes Baby gelegen. Obwohl es nicht dasselbe Baby ist, bleibt er stehen.
    »Komm, Billy, wir verpassen den Bus!«
    »Hä?«
    Es ist Risa. Sie und Lev sind schon ein paar Meter vor ihm. Sie spricht mit zusammengebissenen Zähnen: »Komm schon, Billy . Mach keinen Scheiß!«
    Die Schüler drängen schon in den Bus. Der Polizeiwagen steht bewegungslos hinter den blinkenden roten Lichtern.
    Connor will sich zum Weitergehen zwingen, aber er schafft es nicht. Es liegt an dem Baby, an der Art, wie es weint. Das ist nicht dasselbe Baby!, sagt Connor sich. Sei nicht blöd. Nicht jetzt!
    »Connor«, flüstert Risa, »was ist?«
    Da geht die Tür auf. Ein kleiner dicker Junge erscheint, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt. Er schaut auf das Baby hinunter. »Oh nee!« Ins Haus hinein ruft er: »Mom! Wir sind schon wieder gestorcht worden!«
    Die meisten Menschen haben zwei Notfallreflexe: kämpfen oder fliehen. Connor dagegen hat schon seit jeher drei: kämpfen, fliehen oder alles grandios vermasseln. Bewaffneten JuPos in die Arme zu laufen, um Lev zu retten, statt einfach nur sich selbst in Sicherheit zu bringen, war eine solche mentale Kurzschlussreaktion. Und jetzt spürt er, wie sich die nächste anbahnt. In seinem Gehirn laufen die Drähte heiß. »Wir sind schon wieder gestorcht worden«, hat der dicke Junge gesagt. Warum musste er »schon wieder« sagen? Wahrscheinlich wäre für Connor alles in Ordnung gewesen, wenn er nicht »schon wieder« gesagt hätte.
    Tu es nicht!, sagt Connor sich. Das ist nicht dasselbe Baby!
    Aber für einen nicht vernunftbegabten Teil tief in seinem Gehirn sind alle Babys gleich.
    Gegen jeden Selbsterhaltungstrieb rennt Connor auf die Veranda. Er nähert sich der Tür so schnell, dass der Junge ihn nur erschrocken anschaut und beim Zurückweichen mit seiner Mutter zusammenstößt, einer ebenfalls sehr fülligen Frau, die gerade hinter ihm auftaucht. Sie schaut Connor abweisend an, wirft dann einen Blick auf das schreiende Baby, bewegt sich aber nicht in seine Richtung.
    »Wer bist du?«, will sie wissen. Der kleine Junge versteckt sich jetzt hinter ihr wie ein Bärenjunges hinter seinem Muttertier. »Hast du das hier abgelegt? Antworte!« Das Baby schreit immer noch.
    »Nein … nein, ich …«
    »Lüg mich nicht an.«
    Er weiß nicht, was er hier eigentlich

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