Vollendet (German Edition)
Stehen, und mehr Schüler steigen ein. Das Mädchen aus dem vorderen Teil des Busses – die mit dem Kind – kommt nach hinten und setzt sich direkt vor Risa. Sie dreht sich um und schaut sie über die Rückenlehne des Sitzes hinweg an.
»Hallo, du bist wohl neu! Ich bin Alexis und das ist Chase.« Ihr Baby betrachtet Risa neugierig und sabbert auf den Sitz. Alexis nimmt die schlaffe Hand des Babys und winkt mit ihr wie mit der Hand einer Puppe. »Sag hallo, Chase!« Alexis scheint noch jünger zu sein als Risa.
Das Mädchen späht um die Lehne, um einen Blick auf das Gesicht des schlafenden Babys zu werfen. »Ein Neugeborenes! Oh, wow! Das ist ja supertapfer von dir, dass du so früh wieder zur Schule gehst!« Sie wendet sich an Connor. »Bist du der Papa?«
»Ich?« Connor wirkt einen Augenblick lang nervös und in die Enge getrieben, aber dann kommt er zur Besinnung und sagt: »Ja, ja, klar.«
»Und ihr seid noch zusammen? Toll, suuuuper! Chaz – das ist Chases Dad – ist nicht mal mehr auf unserer Schule. Sie haben ihn auf eine Militärakademie geschickt. Seine Eltern waren sooooo sauer, als sie erfahren haben, dass ich, na ja, ein Kind bekomme. Er hatte sogar Angst, dass sie ihn umwandeln lassen. Kannst du dir das vorstellen?«
Risa hätte dem Mädchen am liebsten den Hals umgedreht, wenn das den sabbernden Chase nicht mutterlos gemacht hätte.
»Ist es ein Mädchen oder ein Junge?«
Es entsteht eine peinliche, unbehagliche Pause, in der Risa überlegt, ob sie heimlich nachschauen kann. »Ein Mädchen.« Immerhin hat sie eine fünfzigprozentige Chance, dass sie richtigliegt.
»Wie heißt sie?«
Diesmal meldet sich Connor zu Wort. »Didi«, sagt er. »Sie heißt Didi.« Das entlockt Risa ein leichtes Grinsen, obwohl sie immer noch wütend auf ihn ist.
»Ja«, sagt Risa. »Wie ich. Eine alte Familientradition.«
Offenbar hat Connor zumindest zum Teil seinen Verstand wieder beisammen. Er wirkt ein bisschen entspannter und natürlicher und spielt seine Rolle, so gut er kann. Die Röte weicht langsam aus seinem Gesicht, bis nur noch seine Ohren rot sind.
»Auf der Center-North gefällt es euch bestimmt«, sagt Alexis. »Da gibt’s eine Kita, und wir werden richtig gut betreut. Bei ein paar Lehrern dürfen wir sogar im Unterricht stillen.«
Connor legt Risa den Arm um die Schultern. »Dürfen Väter zuschauen?«
Risa schüttelt seinen Arm ab und tritt ihm heimlich auf den Fuß. Er zuckt zusammen, sagt aber nichts. Wenn er denkt, zwischen ihnen wäre alles gut, dann liegt er falsch.
»Sieht so aus, als würde dein Bruder Anschluss finden«, sagt Alexis. Risa schaut auf den Platz, wo Lev gesessen hat, aber er ist eine Reihe nach vorn gerutscht und redet mit dem Jungen neben ihm. Sie versucht zu verstehen, worüber sie reden, kann aber wegen Alexis’ Geplapper nichts hören.
»Oder ist er dein Bruder?«, fragt Alexis Connor.
»Nein, meiner«, antwortet Risa.
Alexis grinst und lässt die Schultern ein bisschen kreisen. »Irgendwie süß.«
Eigentlich hat Risa gedacht, dass sie Alexis unmöglich noch unsympathischer finden könnte. Offensichtlich hat sie sich geirrt. Alexis muss ihren Blick verstanden haben, denn sie sagt schnell: »Ich meine, süß für einen Freshman.«
»Er ist dreizehn. Hat eine Klasse übersprungen.« Sie durchbohrt Alexis mit einem noch böseren, warnenden Blick, der sagt: Halt deine Krallen von meinem kleinen Bruder fern. Sie muss sich selbst daran erinnern, dass Lev gar nicht ihr kleiner Bruder ist. Jetzt ist es an Connor, ihr auf den Fuß zu treten, und zwar völlig zu Recht. Zu viel Information. Levs tatsächliches Alter geht Alexis nichts an. Und Feinde können sie nun wirklich nicht gebrauchen.
»Tut mir leid«, sagt Risa und lässt ihren Blick sanfter werden. »Lange Nächte mit dem Baby. Da werde ich schnell zickig.«
»Ach, glaub mir, das kenne ich.«
Es scheint, als würde Alexis sie die ganze Fahrt über ausquetschen, aber plötzlich bremst der Bus. Der kleine Chase stößt mit dem Kinn gegen die Rückenlehne des Sitzes und fängt an zu weinen. Alexis ist auf einmal im Muttermodus, und das Gespräch endet.
Risa stößt einen tiefen Seufzer aus, und Connor sagt: »Es tut mir echt leid.« Obwohl er ehrlich klingt, akzeptiert sie keine Entschuldigungen.
13. Lev
Der Tag ist bisher nicht gerade nach Plan verlaufen.
Lev wollte abhauen, sobald sie wieder unter Menschen waren, und er hätte weglaufen können, als sie aus dem Wald heraus kamen. Es kommt noch ein
Weitere Kostenlose Bücher