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Vollendet (German Edition)

Vollendet (German Edition)

Titel: Vollendet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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beeindruckend«, sagt Connor.
    »Manchmal musste ich mich im Waisenhaus um die Babys kümmern. Da lernt man so manche Tricks. Hoffentlich verträgt es den Milchzucker.«
    Nachdem das Baby besänftigt ist, fällt die ganze Anspannung des Tages auf einmal ab. Connors Augenlider werden schwer, aber er darf nicht einschlafen. Noch sind sie nicht in Sicherheit. Vielleicht sind sie es nie. Er darf jetzt nicht unachtsam werden. Dennoch driften seine Gedanken ab. Suchen seine Eltern wohl noch nach ihm oder nur noch die Polizei? Ariana fällt ihm ein. Was wäre geschehen, wenn sie mitgekommen wäre, wie sie es versprochen hatte? Sie wären in der ersten Nacht gefasst worden, das wäre geschehen. Ariana ist nicht so gerissen wie Risa. Die Gedanken an sie überschwemmen ihn mit einer Woge sehnsüchtiger Trauer, aber die Gefühle sind weniger heftig, als er erwartet hätte. Wie schnell vergisst sie ihn? Wie schnell vergessen ihn alle anderen? Schnell. Das ist immer so bei Wandlern. An seiner Schule sind in den letzten paar Jahren einige Jugendliche verschwunden. Eines Tages erschienen sie einfach nicht zum Unterricht. Die Lehrer sagten dann, sie seien »weg« oder »nicht mehr angemeldet«. Doch das waren nur Floskeln. Jeder wusste, was sie bedeuteten. Man redete ein, zwei Tage darüber, wie schrecklich es sei, und regte sich auf, aber dann war es Schnee von gestern. Wandler gingen nicht mit einem Knall, nicht einmal mit einem Winseln. Sie verloschen still wie eine Kerzenflamme, die zwischen zwei Fingern ausgedrückt wird.
    Endlich geht der Kunde, und Sonia kommt zu ihnen in den hinteren Raum. »Ihr seid Wandler, und ich soll euch helfen, richtig?«
    »Vielleicht nur etwas zu essen«, sagt Connor, »und einen Platz, wo wir uns ein paar Stunden ausruhen können. Dann machen wir uns wieder auf den Weg.«
    »Wir wollen Ihnen nicht zur Last fallen«, sagt Risa.
    Die alte Frau lacht auf. »Doch, genau das tut ihr! Ihr fallt allen zur Last.« Sie zeigt mit dem Stock auf Risa. »Das seid ihr jetzt. Eine LAST – in Großbuchstaben.« Dann legt sie den Stock hin und wird ein bisschen sanfter. »Aber das ist nicht eure Schuld. Ihr habt nicht darum gebeten, geboren zu werden, und ihr habt auch nicht darum gebeten, dass man euch umwandelt.« Sie schaut von einem zum anderen, und sagt dann mit unglaublicher Kaltschnäuzigkeit zu Risa: »Wenn du wirklich am Leben bleiben willst, Liebes, dann sorg dafür, dass er dich wieder schwängert. Eine werdende Mutter wird nicht umgewandelt, das bringt dir ganze neun Monate.«
    Risa ist sprachlos und kann nur stumm den Mund auf- und zumachen. Connor spürt, wie er rot wird. »Sie … sie war nie schwanger. Es ist nicht ihr Baby. Meines auch nicht.«
    Sonia überlegt, während sie das Baby genauer betrachtet: »Nicht deines, hmmm? Nun, das erklärt, warum du nicht stillst.« Sie lacht so plötzlich auf, dass Connor und das Baby zusammenzucken.
    Risa ist nicht erschrocken, nur verärgert. Sie lenkt die Aufmerksamkeit des Babys mit einem Löffel Milch und ihrem Zeigefinger wieder auf sich. »Helfen Sie uns oder nicht?«
    Sonia hebt den Stock und klopft Connor damit auf den Arm. Dann zeigt sie auf einen riesigen, mit Reiseaufklebern übersäten Koffer. »Bist du stark genug, den hier rüberzubringen?«
    Connor steht auf und überlegt, was in diesem Koffer Nützliches sein könnte, dann zieht er ihn mit einiger Anstrengung über den ausgeblichenen Perserteppich.
    »Bist nicht besonders stark, was?«
    »Hab ich nie behauptet.«
    Zentimeter um Zentimeter bewegt er den Koffer, bis er direkt vor der alten Frau steht. Statt ihn zu öffnen, setzt sie sich drauf und massiert ihre Knöchel.
    »Was ist da drin?«, fragt Connor.
    »Korrespondenz«, sagt sie. »Aber wichtig ist nicht das, was drin ist, sondern das, was darunter ist.« Dann schiebt sie mit dem Stock an der Stelle, wo der Koffer gestanden hat, den Teppich beiseite, und zum Vorschein kommt eine Falltür mit einem Messingring zum Hochziehen.
    »Mach schon«, sagt Sonia und zeigt mit dem Stock auf die Tür. Connor seufzt und greift nach dem Ring. Er zieht die Falltür auf und öffnet den Eingang zu einer steilen Steintreppe, die ins Dunkle hinunterführt. Risa stellt die Schüssel mit der Milch ab. Sie legt sich das Baby über die Schulter, damit es aufstoßen kann. Dann geht sie zu der Falltür und kniet sich neben Connor.
    »Das Haus ist alt«, erzählt Sonia. »Vor langer Zeit, zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, hat man dort während der ersten

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