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Vollendet (German Edition)

Vollendet (German Edition)

Titel: Vollendet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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auf, und Risa trifft selten jemanden wieder.
    Connor und sie können nur zusammenbleiben, weil sie als Paar auftreten. Das ist praktisch und hilft beiden.
    Schließlich landen sie in einer riesigen leeren Lagerhalle mitten in der Einflugschneise eines Flughafens. Eine billige Unterkunft für einen Haufen ungewollter Kids. Wenn ein Flugzeug darüberfliegt, wackelt das Wellblechdach der spartanischen Halle so heftig, dass Risa jeden Moment mit dem Einsturz rechnet.
    Als sie dort eintreffen, sind schon fast dreißig Jugendliche da, von denen Risa und Connor in den vergangenen Wochen vielen schon begegnet sind. Dies ist also das Auffangbecken, in dem alle Wandler vor einer Art letzten Reise zwischengelagert werden. Die Türen sind mit Ketten verhängt, damit unerwünschte Besucher draußen und allzu rebellische Insassen drinnen bleiben. Die Heizlüfter, die in der Halle herumstehen, nützen nichts, weil die Wärme nach oben zum Dach aufsteigt. Es gibt nur eine Toilette, deren Schloss kaputt ist. Da es anders als in den meisten Geheimverstecken keine Dusche gibt, leidet seit ihrer Ankunft auch die Körperpflege. Mit einer Horde verängstigter, wütender Jugendlicher kombiniert, hat man unter solchen Bedingungen ein Pulverfass, das jeden Moment in die Luft fliegen kann. Vielleicht sind die Leute, die den Laden hier schmeißen, auch deshalb bewaffnet.
    Es sind vier Männer und drei Frauen, eine Art militärisches Gegenstück zu Leuten wie Sonia, die Geheimverstecke betreiben. Die »Tarnkappen«, wie die Kids sie wegen ihrem Hang zu Militärkleidung nennen, wirken ständig erschöpft. Dennoch geht eine Entschlossenheit von ihnen aus, die Risa bewundert.
    Fast jeden Tag trifft eine Handvoll neuer Jugendlicher ein. Nicht nur Risa, auch Connor beäugt die Neuankömmlinge interessiert. Sie weiß, warum.
    »Du suchst nach Lev, stimmt’s?«, fragt sie schließlich.
    Er zuckt die Schultern. »Vielleicht suche ich auch nur den Flüchtling aus Akron, genau wie alle anderen.«
    Nun muss Risa doch kichern. In ihren Geheimverstecken haben sie das Gerücht von dem Ausreißer, der in Akron einen JuPo mit der eigenen Pistole betäubt hat, immer wieder gehört, und mit jedem Mal war die Geschichte wilder. Vielleicht ist er auf dem Weg hierher!, flüstern die Kids in der Lagerhalle, als sei die Rede von einem Star. Risa hat keine Ahnung, wo das Gerücht herkommt, schließlich kam der Vorfall nie in den Nachrichten. Es ärgert sie auch ein bisschen, dass sie nicht erwähnt wird. Eigentlich müsste es eine Bonnie-und-Clyde-Geschichte sein. Die Gerüchteküche ist ziemlich frauenfeindlich.
    »Sagst du ihnen irgendwann, dass du es bist?«
    »Ich will keine Aufmerksamkeit. Außerdem würden sie mir sowieso nicht glauben. Für die ist der Flüchtling aus Akron ein Superheld. Ich will sie nicht enttäuschen.«
    Lev ist nicht unter den Neuankömmlingen. Mit jeder Gruppe wächst die Anspannung. Bis zum Ende der ersten Woche sind sie dreiundvierzig, und immer noch gibt es nur eine Toilette, keine Dusche und keine Informationen darüber, wie lange es noch dauern wird. Die Unruhe hängt so schwer in der Luft wie die Körperausdünstungen.
    Die Tarnkappen geben sich große Mühe, alle satt zu bekommen und zu beschäftigen, um Spannungen zu vermeiden. Es gibt ein paar Brettspiele, unvollständige Kartenspiele und Bücher mit Eselsohren, die keine Bücherei mehr haben will. Elektronische Geräte, Bälle, einfach alles, was Lärm machen könnte, gibt es nicht.
    »Wenn die Leute da draußen euch hören, ist es vorbei mit euch«, rufen ihnen die Tarnkappen immer wieder ins Gedächtnis. Risa fragt sich, ob diese Leute außerhalb der Rettungsaktion für Wandler ein Leben haben oder ob das ihr ganzer Daseinszweck ist.
    »Warum tun Sie das für uns?«, fragt Risa in der zweiten Woche eine von ihnen. Die Antwort klingt fast auswendig gelernt, wie eine vorgefertigte Presseerklärung. »Es ist ein Gebot des Gewissens, dich und deinesgleichen zu retten«, sagt die Frau. »Es zu tun, ist Belohnung genug.«
    So reden alle Tarnkappen – pathetisches Geschwafel, wie Risa findet. Die sehen das große Ganze, aber keins der Teile. Man merkt es daran, wie sie reden, aber Risa sieht es auch in ihren Augen. Wenn sie Risa anschauen, sehen sie nicht sie als Person. Sie scheinen in dem Haufen Wandler eher eine Idee zu erkennen als eine Ansammlung verängstigter Jugendlicher. Sie sind blind für das Brodeln hier drin, das fast so heftig ist wie das Wackeln des Dachs, wenn ein

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