Vollendet (German Edition)
Anstecknadeln, schlüpfen ihm durch die Finger und fallen aus dem verhedderten Bündel zu Boden. Als er vor den beiden steht, halten sie sich gegenseitig fest, als müssten sie sich gegen einen Tornado stemmen. Dann fällt er auf die Knie, legt ihnen das Bündel vor die Füße und richtet, den Oberkörper vor und zurück wiegend, einen verzweifelten Appell an die beiden:
»Bitte«, sagt er. »Es tut mir leid. Es tut mir leid. Ich wollte das nicht.«
»Bitte«, sagt er. »Nehmt es. Ich brauche es nicht. Ich will es nicht.«
»Bitte«, sagt er. »Macht, was ihr wollt. Aber lasst mich nicht umwandeln.«
Erst in diesem Moment versteht Cy, dass Tyler es nicht weiß. Der Teil des Jungen, der Ort und Zeit begreift, ist nicht da und wird es nie wieder sein. Tyler weiß nicht, dass es schon passiert ist, und Cy hat keine Möglichkeit, es ihm verständlich zu machen. Also macht er weiter.
»Bitte, lasst mich nicht umwandeln. Ich tue alles, aber bitte, lasst mich nicht umwandeln. Biiiitte …«
Da hört er hinter sich eine Stimme.
31. Lev
»Sagen Sie ihm, was er hören will!«, sagt Lev. Mit all dem Zorn, den er in sich trägt, könnte er die Erde spalten. Er hat Cy versprochen, es zu bezeugen. Aber er kann nicht einfach nur tatenlos danebenstehen.
Tylers Eltern klammern sich immer noch aneinander, trösten sich gegenseitig, statt Cy zu trösten. Das macht Lev noch wütender.
»SAGEN SIE IHM, DASS SIE IHN NICHT UMWANDELN LASSEN WERDEN!«, schreit er. Der Mann und die Frau sehen ihn nur an wie zwei dämliche Kaninchen. Lev schnappt sich den Spaten und schwingt ihn über die linke Schulter nach hinten wie einen Baseballschläger. »SAGEN SIE IHM, DASS SIE IHN NICHT UMWANDELN LASSEN, ODER ICH SCHWÖRE, ICH SCHLAGE IHNEN IHRE NUTZLOSEN SCHÄDEL EIN!« So hat er noch nie mit jemandem geredet. Er hat überhaupt noch nie jemanden bedroht. Und es ist keine leere Drohung – er würde es auch tun. Heute geht er bis zum Ende, wenn es sein muss.
Die Polizisten ziehen ihre Waffen, doch Lev ist das egal.
»Lass den Spaten fallen«, brüllt einer von ihnen. Die Waffe ist auf Levs Brust gerichtet, doch Lev reagiert nicht. Soll er doch schießen. Bevor ich zu Boden gehe, schaffe ich einen Schlag. Vielleicht sterbe ich, aber einen von ihnen nehme ich mit. In seinem ganzen Leben war Lev noch nie so entschlossen. Noch nie war er so nah am Explodieren.
»SAGEN SIE ES IHM! SAGEN SIE ES IHM JETZT!«
In dieser verfahrenen Situation sind alle wie versteinert: die Polizisten mit ihren Waffen, Lev mit seinem Spaten. Dann endlich machen der Mann und die Frau der Sache ein Ende. Sie blicken hinab auf den Jungen, der sich über den Schmuckstücken, die in einem wirren Haufen vor ihren Füßen liegen, weinend vor und zurück wiegt.
»Wir lassen dich nicht umwandeln, Tyler.«
»VERSPRECHEN SIE ES IHM!«
»Wir lassen dich nicht umwandeln, Tyler. Wir versprechen es. Wir versprechen es dir.«
Cys Schultern entspannen sich, und obwohl er noch weint, klingt es nicht mehr so verzweifelt. Es klingt erleichtert.
»Danke«, sagt Cy. »Danke …«
Lev lässt die Schaufel sinken, die Polizisten ihre Waffen. Das weinende Ehepaar flüchtet in die Sicherheit seines Hauses. Cyrus’ Dads sind da, die Leere zu füllen. Sie helfen ihm auf und umarmen ihn.
»Es ist alles in Ordnung, Cyrus. Alles wird gut.«
»Ich weiß«, sagt Cy schluchzend. »Jetzt ist alles gut. Alles ist gut.«
Lev nutzt den Moment, um zu verschwinden. Die Polizisten werden bald merken, dass er die einzige ungelöste Variable in dieser Gleichung ist. Deshalb zieht er sich ins Dickicht zurück, während sie noch von dem entschwindenden Ehepaar, dem weinenden Jungen, seinen beiden Dads und dem Glitzerkram am Boden abgelenkt sind. Als er außer Sichtweite ist, dreht er sich um und rennt los. In wenigen Sekunden werden sie merken, dass er weg ist. Aber mehr Vorsprung braucht er auch nicht, denn er ist schnell. Er war immer schnell. Er schlüpft durch die Büsche in den nächsten Garten, und zehn Sekunden später ist er auf der Straße.
Der Blick auf Cys Gesicht, als er diesen grässlichen Leuten den Schmuck vor die Füße gelegt hat, und ihre Reaktion, als wären sie die Opfer und nicht er – das wird Lev bis ans Ende seines Lebens nicht vergessen. Dieser Moment verändert ihn von Kopf bis Fuß, auf eine nachhaltige und beunruhigende Weise. Wo ihn seine Reise jetzt hinführt, ist völlig egal, denn im Herzen ist er schon angekommen. Genau wie die Aktentasche in der Erde ist er
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