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Vollendet (German Edition)

Vollendet (German Edition)

Titel: Vollendet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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mit einem Streit – einer Meinungsverschiedenheit, einer Auseinandersetzung. Aber wenn aus dem Streit Krieg wird, spielen die Hintergründe keine Rolle mehr. Dann geht es nur noch um eins: den Hass auf den Gegner.«
    Der Admiral gießt sich noch etwas Whiskey in die Tasse, ehe er fortfährt. »Es waren düstere Zeiten, die zu dem Krieg geführt haben. Alles, was unserer Meinung nach Recht und Unrecht unterscheidet, wurde auf den Kopf gestellt. Auf der einen Seite ermordeten die Leute Abtreibungsärzte, um das Recht auf Leben zu schützen, auf der anderen wurden Frauen schwanger, nur um Embryos zu verkaufen. Die Leute suchten sich ihre Anführer nicht nach deren Führungsqualitäten aus, sondern ausschließlich danach, wo sie in dieser einen Frage standen. Es war das reinste Irrenhaus! Als dann das Militär zerbrach, brachten beide Seiten Kriegswaffen in ihren Besitz, und aus zwei Überzeugungen wurden zwei Armeen, die entschlossen waren, einander zu zerstören. Und dann kam die Charta des Lebens.«
    Bei der reinen Erwähnung der Charta läuft es Connor eiskalt den Rücken herunter. Früher hat sie ihm nichts bedeutet, aber als Wandler sieht er das anders.
    »Ich war mit im Raum, als die Idee aufkam, eine rückwirkende Beendigung der Schwangerschaft zu erlauben, sobald ein Kind das Vernunftalter erreicht«, sagt der Admiral. »Am Anfang war es ein Witz – niemand hatte das ernsthaft vor. Aber in jenem Jahr erhielt ein Wissenschaftler den Nobelpreis für die Perfektionierung der Nerventransplantation, mit deren Hilfe jedes Körperteil eines Spenders als Transplantat verwendet werden kann.«
    Der Admiral nimmt einen großen Schluck Kaffee. Connor hat seine zweite Tasse noch nicht angerührt, denn er hat schon damit zu kämpfen, die erste bei sich zu behalten.
    »Als der Krieg immer schlimmer wütete«, fährt der Admiral fort, »handelten wir einen Waffenstillstand aus und brachten beide Seiten an den Verhandlungstisch. Dort schlugen wir die Idee der Umwandlung vor, die das Leben der ungewollten Kinder abschließt, ohne es zu beenden. Wir hielten den Vorschlag für so schockierend, dass er beide Seiten wieder zur Vernunft bringen würde. Wir hofften, dass sie einander über den Tisch hinweg anstarren würden, bis der Erste blinzelte. Aber es blinzelte keiner. Die Möglichkeit kam beiden Seiten entgegen. ›Ein Leben vollenden‹, so wollten sie es damals nennen, bevor sie sich auf umwandeln einigten. Die Charta des Lebens wurde unterzeichnet, das Umwandlungsabkommen trat in Kraft. Alle waren glücklich, dass der Krieg vorbei war, und niemand scherte sich um die Folgen.«
    Die Gedanken des Admirals schweifen einen Augenblick ab, dann macht er eine wegwerfende Geste. »Ich bin mir sicher, den Rest kennst du.«
    Connor weiß nicht alles, aber die wesentlichen Fakten sind ihm bekannt. »Die Leute brauchten Körperteile.«
    »Forderten, sollte man sagen. Ein verkrebster Dickdarm konnte nun durch einen gesunden ersetzt werden. Ein Unfallopfer, das an inneren Verletzungen gestorben wäre, erhielt neue Organe. Eine verkrüppelte, arthritische Hand konnte durch eine ersetzt werden, die fünfzig Jahre jünger war. Und diese neuen Körperteile mussten ja irgendwo herkommen.« Der Admiral denkt einen Augenblick nach. »Wenn sich damals mehr Menschen zur Organspende bereit erklärt hätten, dann hätte es die Umwandlung vielleicht nie gegeben. Aber die Leute behalten gern, was ihnen gehört, auch nach ihrem Tod. Es dauerte nicht lang, bis die Moral der Gier zum Opfer fiel. Die Umwandlung wurde zu einem ganz großen Geschäft. Und man ließ es einfach zu.«
    Der Blick des Admirals wandert zum Bild seines Sohnes. Auch ohne Erklärung versteht Connor, warum, doch er gesteht dem Admiral die Würde zu, es zu beichten.
    »Mein Sohn Harlan war ein tolles Kind, sehr intelligent. Aber er steckte auch oft in Schwierigkeiten – du kennst den Typ.«
    »Ich bin der Typ.« Connor grinst schief.
    Der Admiral nickt. »Es geschah vor etwa zehn Jahren. Harlan geriet an die falschen Freunde, wurde beim Stehlen erwischt. Zum Teufel, in seinem Alter war ich genauso. Deshalb haben mich meine Eltern auf die Militärakademie geschickt. Nur gab es für Harlan nun eine andere Möglichkeit. Eine … effektivere Möglichkeit.«
    »Sie haben ihn umwandeln lassen.«
    »Als einer der Väter des Umwandlungsabkommens erwartete man von mir, dass ich mit gutem Beispiel vorangehe.« Er presst die Finger auf seine Augen, um die Tränen zurückzuhalten. »Wir

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