Vollendet (German Edition)
haben die Verfügung unterschrieben, es uns dann aber anders überlegt. Doch da war es schon zu spät. Sie hatten Harlan von der Schule direkt ins Ernte-Camp gebracht und ihn schnell durchgeschleust. Es war bereits vollendet.«
Connor hat sich nie überlegt, was die Umwandlung denen abfordert, die die Verfügung unterzeichnen. Nie hat er sich vorstellen können, Mitleid mit Eltern zu haben, die so etwas tun – oder gar mit einem derer, die die Umwandlung überhaupt erst möglich gemacht haben.
»Es tut mir leid«, sagt Connor. Er meint es auch so.
Der Admiral richtet sich auf. »Das muss es nicht. Nur wegen dieser Umwandlung seid ihr überhaupt hier. Meine Frau und ich gründeten danach in Harlans Andenken eine Stiftung. Ich verließ die Armee, war mehrere Jahre lang sturzbetrunken, und dann, vor drei Jahren, hatte ich meine große Idee. Der Ort hier, die Kinder sind das Ergebnis. Bis heute habe ich mehr als tausend Kinder vor der Umwandlung bewahrt.«
Connor versteht jetzt, warum der Admiral ihm das alles erzählt. Es ist mehr als eine Beichte. Er will sich Connors Loyalität sichern – und das schafft er. Der Admiral ist ein Besessener, aber seine Besessenheit rettet Leben. Hayden hat einmal gesagt, Connor sei ein anständiger Kerl. Diese Anständigkeit bindet ihn nun fest an den Admiral. Connor hebt seine Kaffeetasse. »Auf Harlan!«
»Auf Harlan!«
Einen Moment sitzen sie schweigend beisammen. »Stück für Stück mache ich es wieder gut, Connor«, sagt der Admiral. »Stück für Stück, und zwar in mehrfacher Hinsicht.«
35. Lev
Wo Lev sich aufhielt, nachdem er CyFi verlassen hatte und bevor er auf dem Friedhof ankam, ist nicht so wichtig wie die Frage, wo er mit seinen Gedanken war. In Gedanken war er an Orten, die kälter und dunkler waren als jedes seiner vielen Geheimverstecke.
Einen Monat lang hatte er sich mit Kompromissen und kleineren Diebstählen über Wasser gehalten – was man eben so tun muss, um zu überleben. Schon bald war Lev ein gewiefter Überlebenskünstler. Es heißt, man muss vollständig in eine Kultur eintauchen, wenn man sich ihre Sprache und Gebräuche aneignen will. Die Sprache der Verlorenen hat Lev schnell erlernt.
Als er im Netzwerk der Geheimverstecke landete, machte er seiner Umgebung umgehend klar, dass man sich mit ihm besser nicht anlegte. Er verschwieg, dass er ein Zehntopfer war, und behauptete stattdessen, seine Eltern hätten die Verfügung unterschrieben, nachdem er wegen bewaffneten Raubüberfalls verhaftet worden sei. Diese Lüge gefiel ihm besonders, hatte er doch in seinem Leben noch nie eine Waffe in der Hand gehabt. Und es faszinierte ihn, dass ihm die anderen Kids seine Lüge nicht am Gesicht ablesen konnten – er war immer so ein miserabler Lügner gewesen. Aber wenn er in den Spiegel sah, machten ihm seine eigenen Augen Angst.
Als er schließlich auf dem Friedhof ankam, waren die meisten klug genug, ihm von der Pelle zu bleiben. Genau das hatte er gewollt.
An dem Abend, an dem der Admiral und Connor ihre geheime Konferenz abhalten, geht Lev hinaus in die ölschwarze Dunkelheit der mondlosen Nacht, ohne eine Taschenlampe anzumachen. Das Veilchen von Connor ist mittlerweile verblasst, und die beiden haben die Sache nicht mehr erwähnt. Aber Lev hat ohnehin kaum mit Connor gesprochen, denn ihn beschäftigen andere Dinge.
Jede Nacht hat er versucht, sich davonzuschleichen, wurde jedoch jedes Mal erwischt und zurückgeschickt. Nun, da die fünf Champs des Admirals weg sind, schieben weniger aufmerksame Jugendliche Wache – einige von ihnen sind tatsächlich bei der Arbeit eingeschlafen. Dumm vom Admiral, die Champs wegzuschicken, ohne einen gleichwertigen Ersatz zu haben.
Als er sich weit genug entfernt hat, schaltet er die Taschenlampe ein und macht sich auf die Suche. Den Tipp hat er von einem Mädchen bekommen, das er wenige Wochen zuvor kennengelernt hatte. Sie war ihm sehr ähnlich. Wahrscheinlich trifft er heute Abend noch mehr wie sie.
Reihe dreißig, Platz zwölf. Viel weiter kann man vom Admiral kaum weg sein, ohne den Friedhof zu verlassen. Dort steht eine uralte DC-10, die an ihrem letzten Ruheort nach und nach verfällt. Als Lev die Luke öffnet und hineinklettert, trifft er drinnen zwei Kids, die bei seinem Auftauchen aufspringen und in Verteidigungshaltung gehen.
»Ich bin Lev. Man hat mir gesagt, ich soll herkommen.«
Er hat die beiden noch nie gesehen, doch das ist nicht weiter überraschend, denn in seiner kurzen Zeit auf dem
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