Vollendet (German Edition)
ausgeliefert.«
»Und der neue Lev würde das nicht tun?«
Er denkt nach. »Der neue Lev hat Wichtigeres zu tun.«
Sie gibt ihm die Sonnenbrandsalbe. »Ja, also, wenn du den alten Lev siehst, den, der immer über Gott und den Sinn des Lebens nachgedacht hat, dann sag ihm, wir hätten ihn gern zurück.«
Es folgt ein unbehagliches Schweigen, währenddessen er die Tube in seiner Hand anstarrt. Für einen Augenblick hofft Risa auf eine Reaktion, die zumindest eine Ahnung des anderen Lev zurückbringt, doch er sagt nur: »Wie oft soll ich die nehmen?«
Am folgenden Tag findet wieder ein Arbeitsappell statt.
Risa hasst diese Appelle, weil jeder daran teilnehmen muss, obwohl für sie sowieso nichts dabei sein wird. Heute wird die Versammlung nicht von einem Wandler geleitet, sondern von Cleaver. Offenbar hat er die Aufgabe übergangsweise übernommen, da noch kein Ersatz für Amp gefunden wurde. Risa mag Cleaver nicht. Er hat etwas unangenehm Schleimiges an sich.
Heute sind nur wenige Arbeitseinsätze zu vergeben. In einer gottverlassenen Stadt namens Beaver’s Breath sucht ein Klempner eine Hilfskraft, in Kalifornien ist Farmarbeit zu vergeben, und der dritte Job ist einfach nur schräg.
»Prudhoe Bay, Alaska«, sagt Cleaver. »Ihr arbeitet an einer Ölpipeline, bis ihr achtzehn seid. Soweit ich gehört habe, ist es eine der kältesten, brutalsten Gegenden auf der Erde. Aber, hey, es ist ein Weg nach draußen, stimmt’s? Ich brauche drei Freiwillige.«
Die erste Hand, die hochgeht, gehört einem älteren Jungen, der mit seinem rasierten Schädel und seiner aggressiven Ausstrahlung aussieht, als wäre er für brutale Arbeit wie geschaffen. Die zweite Hand überrascht Risa. Es ist Mai. Warum meldet sich Mai freiwillig für die Arbeit an einer Pipeline? Warum will sie den Typ verlassen, mit dem sie in der Lagerhalle zusammen war? Aber nun, da Risa darüber nachdenkt, hat sie ihn überhaupt noch nicht auf dem Friedhof gesehen. Während sie versucht, die Puzzlestücke zusammenzusetzen, geht eine dritte Hand hoch. Es ist ein jüngerer, kleinerer Junge. Einer mit einem schlimmen Sonnenbrand. Lev meldet sich und wird für den Pipeline-Job ausgewählt.
Risa beobachtet das Geschehen ungläubig und sucht dann Connor in der Menge. Er wirft Risa schulterzuckend einen Blick zu. Connor kann das vielleicht so leicht abtun, Risa aber nicht.
Als sich die Versammlung auflöst, will sie auf kürzestem Weg zu Lev, doch der ist schon in der Menge verschwunden. Zurück im Sanitätsflieger ruft Risa sofort einen Boten nach dem anderen. Sie schickt sie mit überflüssigen Ermahnungen an Kinder los, ihre Medikamente zu nehmen. Der vierte Bote ist dann endlich Lev.
Als er den Blick in ihrem Gesicht sieht, bleibt er in der Tür stehen. Da noch ein anderer Sanitäter da ist, deutet Risa nur mit strengem Blick in den hinteren Teil des Flugzeugs. »Da lang. Sofort!«
»Ich nehme keine Befehle entgegen«, sagt er.
»Da lang!«, wiederholt sie, diesmal strenger. »SOFORT!«
Offenbar nimmt er doch Befehle entgegen, denn er betritt die Maschine und marschiert zum hinteren Teil des Fliegers. Im Lagerraum angekommen, schließt Risa die Tür und faucht ihn an: »Was zum Teufel glaubst du eigentlich, was du da tust?«
Sein Gesicht ist stahlhart, wie die Tür zu einem Safe, den sie nicht öffnen kann.
»Ich bin noch nie in Alaska gewesen«, sagt er.
»Du bist kaum eine Woche hier! Warum hast du es so eilig, wieder wegzukommen – und dann noch für so einen Job?«
»Das geht weder dich noch sonst jemanden was an. Ich habe mich gemeldet, ich wurde genommen, und das war’s.«
Risa verschränkt die Arme vor der Brust. »Du gehst nirgendwohin, wenn ich dir kein Gesundheitszeugnis ausstelle. Ich könnte dem Admiral sagen, dass du … dass du … ansteckende Hepatitis hast!«
»Das würdest du nicht tun!«
»Willst du wetten?«
Voller Wut verpasst Lev der Außenwand einen Tritt. »Er würde es dir nicht glauben! Und selbst wenn, kannst du nicht bis in alle Ewigkeit behaupten, ich wäre krank!«
»Warum willst du unbedingt weg?«
»Ich habe etwas zu erledigen«, sagt Lev. »Ich erwarte nicht von dir, dass du das verstehst. Es tut mir leid, wenn ich nicht mehr der bin, den du in mir siehst, aber ich habe mich eben verändert. Ich bin nicht mehr das naive dumme Kind, das ihr vor zwei Monaten entführt habt. Ihr werdet mich nicht davon abhalten, hier wegzugehen und zu tun, was ich tun muss!«
Risa sagt nichts, denn natürlich hat er
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