Vollendung - Thriller
Löslicher Kaffee, bitter. Maggie Campbell hatte ihm heute nicht ihre spezielle Sumatramischung gekocht wie sonst bei seinen Besuchen. Wie Burrell von Agent Sullivan erfahren hatte, war Maggie Campbell bei der Identifizierung ihres Sohnes, als sie ihn zu der weißen Schreckensmaske des Bacchus erstarrt sah, zuerst in einen Schockzustand verfallen und dann in einen Anfall untröstlicher Hysterie. Als Bill Burrell später am Nachmittag bei dem Haus am Foster Cove eintraf, war Tommy Campbells Mutter oben in ihrem Schlafzimmer bereits erschöpft von ihrem Anfall zusammengebrochen. Und bis auf die paar Reporter, die noch am Ende der Zufahrt herumlungerten, war es in dem Haus, in dem Rhode Islands liebster Sohn aufgewachsen war, still wie im Grab.
»Auf diesem Grundstück wurde ebenfalls jemand tot aufgefunden«, sagte Campbell. »Wussten Sie das, Bill?«
Bill Burrell sah von seinem Kaffee auf. Thomas Campbell blickte ihn ausdruckslos an – seine Augen waren wie Schlitze, rot vom Weinen, die ausgezehrte Hülle des Mannes, der zusammen mit seinem Sohn auf einem Foto in dem Bücherregal hinter ihm stand.
»Im Sommer 1940«, fuhr Campbell fort. »Draußen auf dem vorderen Rasen, ein Verwalter der Familie, der das Haus vor uns gehörte. Es heißt, er habe sich an ihren Jungen herangemacht, und ein paar Fremde seien zufällig vorbeigekommen. Sie haben den Kerl erstochen und sich dann aus dem Staub gemacht. Der Junge war die ganze Zeit dabei, hat alles mit angesehen. Er wurde später ein berühmter Filmregisseur, hat all diese Horrorfilme in den Sechziger- und Siebzigerjahren gedreht. Er ist letztes Jahr gestorben. Erinnern Sie sich an ihn?«
Burrell nickte vage.
»Ich habe als Jugendlicher ein paar von seinen Filmen gesehen – und mir fast in die Hose gemacht vor Angst. Wir haben das Haus von seinem Onkel gekauft – Mann, das ist jetzt auch schon bald dreißig Jahre her. Netter, alter Knabe – der Onkel, meine ich. Viele von den Alteingesessenen hier erinnern sich noch an die ganze Sache – den Mord und so. Tommy hatte die Geschichte ebenfalls gehört, als er ein Kind war. Er hat jahrelang geschworen, dass es einen Geist in diesem Haus gibt. Sie wissen ja, wie Kinder sind. Aber wissen Sie was, Bill? Ich erinnere mich, dass er mir erzählt hat, auch als er noch klein war, dass er keine Angst hat – dass er hoffe, sie könnten eines Tages Freunde sein, der Geist und er. Ist das nicht bemerkenswert? Ein kleiner Junge, der sich nicht vor Geistern fürchtet?«
Burrell nickte und sah wieder auf seine Kaffeetasse hinunter.
»So eine Sorte Junge war mein Tommy«, sagte Campbell, und seine Stimme wurde brüchig. »Mit allen gut Freund. Fürchtete sich nicht davor, selbst einen Geist zu lieben.«
»Ich weiß, Tom. Er war ein guter Junge. Der beste.«
»Deshalb haben sie ihn auch ausgenutzt in seiner Welt – diese ganzen Leute, diese Schlampe von Model, der er einen Heiratsantrag gemacht hat. Er war so vertrauensselig. Er glaubte einfach, jeder, der ihn anlächelte, meinte es so wie er, wenn er zurücklächelte – deshalb konnte ihm diese verfluchte Hure das Herz brechen.«
Burrell sagte nichts. Sie waren das alles schon durchgegangen – hatten schon vor langer Zeit die Möglichkeit ausgeschlossen, dass Tommys Exverlobte, das italienische Supermodel Victoria Magnone, irgendetwas mit dem Verschwinden des Footballstars zu tun haben könnte. Noch bevor Burrell Tommy Campbells Vater kennengelernt hatte, noch vor dem Verschwinden des Wide Receivers, hatte der Special Agent die Romanze und das Zerwürfnis des jungen Paars in den Medien verfolgt – es ließ sich nicht vermeiden, wenn man fernsah oder wenn er seine gottverdammte Homepage anklickte, um zu sehen, wie sich seine Aktien entwickelten. Aber was er aus den Medien nicht erfahren hatte, was ihm erst klar geworden war, seit er Campbells Vater kennengelernt hatte, war, in welchem Maß das Ende der Beziehung dem Jungen das Herz gebrochen hatte. Erst nachdem er bei den Campbells in ihrem Haus in Foster Cove verweilt hatte, erst nachdem er von dem liebevollen Sohn hinter dem Bild gehört hatte, das die Medien von ihm zeichneten, begann Bill Burrell, Schuldgefühle zu entwickeln. Denn sooft er ihn auch für die Rebels im Fernsehen hatte spielen sehen, sooft er sein Bild über das Internet oder die Titelseiten von Zeitschriften verbreitet gesehen hatte, erst nachdem Bill Burrell die trauernden Eltern des Footballspielers getroffen hatte, begann er, Tommy Campbell
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