Vollendung - Thriller
beginnen, den Marmor der Verwirrung und der fehlgeleiteten Werte wegzumeißeln, der zu ihrem Gefängnis geworden war.
Ja, nur die Hand des Bildhauers konnte sie aus ihrem Schlaf im Stein befreien.
Und so klickte der Bildhauer seine Startseite im Internet an. Die Schlagzeilen drehten sich wie erwartet um die Morde an Tommy Campbell und Wenick. Das war wunderbar, aber er würde sie erst später lesen – vielleicht morgen früh, nach seiner Trainingseinheit um 6.00 Uhr und bevor er mit der Recherche für sein nächstes Projekt begann. Nein, was den Bildhauer in diesem Moment interessierte, fand sich am rechten unteren Rand seiner Startseite in einem Kästchen mit dem Titel: Aktuell häufigste Suchbegriffe.
An Nummer zwei war Tommy Campbell.
An Nummer eins war Michelangelo.
Der Bildhauer lächelte.
Es hatte angefangen.
Exponat 2
Die römische Pietà
16
I n den anderthalb Wochen nach der Entdeckung von Tommy Campbell und Michael Wenick sprach Sam Markham nur noch zweimal mit Cathy Hildebrant: einmal am Donnerstag, um sie zu fragen, ob man sie über den vorläufigen Befund des Coroners informiert hatte, und dann am Mittwoch darauf, um ihr zu sagen, dass das FBI ihn vorübergehend dem Außenbüro Boston zugeteilt hatte, und sie zu bitten, am nächsten Morgen mit ihm dorthin zu fahren.
In ihrem Gespräch am Donnerstag erzählte Markham Cathy, dass der Täter die inneren Organe sowohl bei Campbell als auch bei Wenick entfernt hatte – die von Wenick durch die untere Hälfte seines abgetrennten Torsos, die von Campbell durch einen zuvor nicht entdeckten Einschnitt zwischen seinem Hodenansatz und dem Rektum; die entstandenen Hohlräume hatte er mit einer Mischung aus gepressten Sägespänen und Heu gefüllt. Die Köpfe beider Opfer waren rasiert und die Haare durch spezielle »Perücken« ersetzt worden, die er aus einer Epoxidharzmischung geformt hatte. Der Mörder hatte außerdem das Gehirn der Opfer durch ein eindeutig nach dem Tod gebohrtes Loch in der Schädelbasis entfernt. Wenick war nach Markhams Worten höchstwahrscheinlich an einem Genickbruch gestorben, denn obwohl beide Opfer verdreht und auf eine gezackte Eisenstange montiert worden seien, die durch den hölzernen Baumstumpf, dann durch Campbells Gesäß und hinauf in seinen Rumpf verlief, wiesen nur die Knochen in Wenicks Genick Anzeichen eines Traumas auf, das vor dem Tod passiert sein musste.
Markham erläuterte weiter, dass Campbells Penis anscheinend entfernt wurde, als er noch lebte, aber aufgrund der fehlenden Organe und da beide Leichen ausgeblutet und Adern und Gewebe mit einer Art Konservierungsmittel einbalsamiert worden seien, das noch genauer analysiert werden müsse, sei die genaue Todesursache des Footballspielers erst noch zu bestimmen. Das endgültige Ergebnis der Autopsie, betonte Markham, würde erst in der folgenden Woche vorliegen, und alles – von der weißen Lackfarbe über die Epoxidharzperücken bis zu den falschen Trauben und anderen Accessoires, die die Leichen geschmückt hatten – bedürfe weiterer Analyse. Markham erzählte Cathy, dass alle sachdienlichen Beweismittel – einschließlich des gesamten Sockels der Statue – bereits zu Untersuchungen in das FB I -Labor in Quantico ausgeflogen worden seien. Das war gut, sagte Markham, denn das bedeute, dass man die Information über die Widmung für Cathy noch eine Weile vor der Öffentlichkeit geheim halten konnte.
Und das wiederum bedeutete, dass Cathy selbst ebenfalls noch ein bisschen länger vor dem Licht der Öffentlichkeit sicher war. Unmittelbar nach jenem schicksalhaften Sonntag sah sich Dr. Catherine Hildebrant einem Ansturm von Interviewanfragen auf ihrem Anrufbeantworter in der Universität gegenüber – es waren so viele, dass sie ihre Studenten anweisen musste, nur noch per E-Mail mit ihr Kontakt aufzunehmen. Jedoch schienen die Medien bis Freitag dieser Woche – als andere Kunsthistoriker und sogenannte Experten seit Tagen ein Interview nach dem anderen gegeben hatten – die hübsche Kunsthistorikerin, die man als Beraterin zu dem Fall hinzugezogen hatte, und die in der Folge davon alle Interviewwünsche abgelehnt hatte, so gut wie vergessen zu haben.
Doch auch wenn bis zu diesem Freitag der ersten Woche das Interesse an Cathy geschwunden war, das Interesse an ihrem Buch war nicht geschwunden. Amazon und Barnes & Noble hatten rasch ihre wenigen Restexemplare von Die im Stein schlafen ausverkauft und platzierten beide eine umfangreiche
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