Volles Rohr
Sandbänken.
»Kill« ist das niederländische Wort für »Bach«. Wir
haben hier ein kurzes, breites Flüßchen, das sich in Meeresnähe zu einem Netz von kleinen Wasserläufen mit Sümpfen dazwischen verzweigt. Die Kills umspinnen
einen Mündungstrichter, der, zumindest auf dem Papier, ein Naturparadies ist.
Dieser Mündungstrichter lag nördlich von uns. Die Stadt Blue Kills und das Duodezfürstentum Blue Kills Beach lagen südlich davon auf höherem und trockenerem
Gelände. Der ganze Küstenstrich wurde durch Inselchen und Sandbänke einigermaßen vor dem Atlantik
abgeschirmt. Wir waren in der toxischen Lagune
dahinter.
Ich hatte mir meine LANDSAT-Infrarot-Fotos genau
angesehen, also wußte ich,wo recht nah bei unserem Ziel
- etwa anderthalb Kilometer von Blue Kills
Beachentfernt - eine baum- und buschbewachsene Insel war. Wir zogen unser Zodiac zwischen dem üblichen
Abfall an Land, den Teens bei Saufausflügen
zurücklassen. Tom checkte sein Tauchgerät und stieg in den Darth-Vader-Anzug.
Normalerweise tragen Taucher Naßtauchanzüge, die dick und porös sind. Es kommt Wasser durch, der Körper
erwärmt es, der Anzug hat isolierende Wirkung. Aber
man möchte schließlich nicht draufgehen, weil man mit Schadstoffen rummacht und dabei so ein Ding trägt.
Deshalb hatte ich in den Darth Vader einen
wasserdichten Trockentauchanzug eingebaut. Außerdem
hatte ich aus einer Taucherbrille, alten Schläuchen, einem Fahrradflickzeugkästchen und Gummilösung eine Maske
gebastelt. Wenn man die übers Gesicht zog, paßte das Mundstück des Tauchgeräts in die richtige Öffnung, und man hatte so was wie ein Ventil zum Ausatmen über der Nase. Wenn man die Maske richtig anlegte, schützte sie einen vor dem Dreck, durch den man schwamm -
zumindest ein Weilchen.
Tom mochte keine Trockentauchanzüge, aber er
meckerte nicht. Bevor er in den Darth Vader gestiegen war, hatten wir noch die Partien seiner Haut, die mit undichten Stellen oder Nähten im Anzug in Berührung
kommen konnten, eingeschmiert. Dafür gibt es ein Mittel aus Silikon. Wenn man es aufträgt, ist man geschützt -
zumindest halb. Der Anzug paßt auch noch drüber. Tom wurde
außerdem mit einem Maßband, einem
Unterwasser-Notizblock und einer Unterwasser-
Videokamera ausgerüstet.
»Eine Frage. Was kommt da raus aus dem Ding?«
»Erstaunliches. Die stellen Farben und Pigmente her.
Also haben wir's mit Lösungsmitteln zu tun. Und mit
Metallen. Und mit Massen von üblen Phthalaten und
Hydrazinen.«
»Was heißt das?«
»Trink nicht davon. Und wenn du fertig bist, dann
schwimm erst mal 'ne Runde hier draußen. Hier ist das Wasser sauberer.«
»So Sachen nerven mich.«
»Sieh's doch mal so. Etliche Toxine werden über die
Lunge in den Körper aufgenommen. Aber du hast in
deinen Sauerstoffflaschen wirklich saubere Luft. Sehr viel mehr Toxine werden über die Haut aufgenommen.
Aber aus diesem Abflußrohr kommen, glaube ich, nicht soviel Lösungsmittel, daß dein Tauchanzug angegriffen wird.«
»Das haben sie uns bei Agent Orange auch gesagt.«
»Scheiße.« Ich hatte eigentlich keinen Grund, überrascht zu sein. Ich hatte nur nicht daran gedacht. »Haben sie dich mit dem Zeug begossen?«
»Nein, ich bin durchgeschwommen.«
»Du warst Kampfschwimmer?«
»Ja. Spezialgebiet Sprengungen. Aber der Vietcong hatte keine allzu großartige Marine, also fielen meistens nur Wartungs- und Räumungsarbeiten an. Verreckte Büffel
aus der Kanalisation holen und so.«
»Das hier ist mit Agent Orange nicht zu vergleichen. Da ist kein Dioxin drin.«
»Okay. Du hast deine Paranoia, und ich hab' meine.«
Wir waren tatsächlich paranoid. Ich habe es ja schon zugegeben. Und nach unserer nächtlichen Fahrt durch
Brighton wußte Tom, wie ich tickte.
»Wenn die Leute mitkriegen, daß ich mir über der Wasseroberfläche ihr Abflußrohr ansehe, dann ist mir das egal, Tom. Es ist mir auch egal, wenn sie mich dabei erkennen. Aber wenn sie einen Taucher sehen, verraten wir ihnen zuviel. Dann wissen sie, daß es Ärger gibt.
Also laß dich einfach von mir ziehen.«
Tom stieg ins Wasser, tauchte, und ich nahm ihn in
Schlepptau, bis das Wasser schwarz wurde. Dann stellte ich den Motor ab. Tom klopfte von unten gegen den
Boden des Zode.
Ich gab ihm eine Minute zum Klarkommen. Dann ließ
ich den Motor wieder an und fuhr eine Weile hin und her.
Ich hatte schon recht zuverlässige Karten, aber das war eine Möglichkeit, sie noch wesentlich zu
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