Volles Rohr
sie
schrecken.
Sie hatte einen von Gallaghers großen, stinkenden
Hummern etwa zur Hälfte zerlegt. Sie hatte Beine und Schwanz entfernt und den Panzer aufgestemmt, um an
die Leber ranzukommen. Das Tier lag auf dem Rücken,
und der Gestank stieg von ihm auf wie Rauc h von einem Feuer.
Hatte sie die Leber rausgenommen? Schwer zu sagen.
Irgendwas stimmte hier nicht.
Nein, sie hatte die Leber nicht rausgenommen. War auch kaum eine da. Sie war nekrotisiert - ein hochfeines Wort für schlichtweg verreckt. Im Körper verrottet, und es war nichts übriggeblieben als eine Pfütze schwarzes Zeug, umgeben von gelblichen Bläschen mit irgendwas drin,
das ich noch nie in einem Hummer gesehen hatte. Wohl ein Gift. Die Leber hatte sich verzweifelt bemüht, es aus dem Organismus herauszufiltern, und war dabei
draufgegangen. Ich griff mir einen Kugelschreiber und stach eins der Bläschen an. Etwas Fettiges quoll heraus, und eine Wolke von dem öligen Geruch segelte hoch.
Es gab einmal eine Firma in Japan, die Reisöl herstellte.
Das Reisöl mußte beim Produktionsprozeß über einen
Kühler laufen. Mit anderen Worten, es floß zwischen
Röhren durch, die mit einer kälteren Flüssigkeit gefüllt waren. Diese kältere Flüssigkeit war ein polychloriertes Biphenyl. Ein PCB.
Wenn jemand Ingenieur ist und mit keiner allzu hohen Intelligenz gesegnet, fällt es ihm leicht, polychlorierte Biphenyle zu lieben. Es sind billige, feste, leicht
herzustellende und sehr hitzebeständige Verbindungen.
Deshalb nimmt man sie für Kühler und Transformatoren.
Und so gerieten sie in diese Maschine in Japan und
später, als die Röhren zu lecken begannen, ins Reisöl.
Nun ist Reisöl leider für den menschlichen Verzehr
gedacht, und sobald Menschen ins Spiel kommen, sehen die PCBs nicht mehr so gut aus. Wenn wir Roboter
wären und in einer Roboterwelt leben würden, könnten wir sie verwenden, ohne Schaden zu nehmen, aber das
Problem bei Menschen ist, daß sie viel Fett im Körper haben - und PCBs haben eine häßliche Affinität zu Fett.
Sie lösen sich in Fettzellen und bleiben drin. Sie sind mit freien Chloratomen gespickt, die Chromosomenschäden
verursachen. Und so geschah es, daß die Stadt Kusho, als dieser Kühler undicht wurde, den Eindruck zu machen
begann, eine biblische Plage habe sie heimgesucht. Es wurden Kinder geboren, die winzig klein und am ganzen Leib dunkelbraun waren. Die Leute wurden schwach und schwächer. Sie entwickelten eine recht ekelhafte
Hautkrankheit - Chlorakne - und fühlten sich
sterbenselend.
Nun war die Plage über den Bostoner Hafen gekommen.
15
Vielleicht fragt sich hier jemand, warum ich, Sangamon Taylor, nicht aus dem Labor rannte und nach Hause eilte und mich wundschrubbte wie Tanya. Hatte nichts mit
Männlich / Weiblich oder Mut oder irgendeinem Scheiß in der Richtung zu tun. Es hatte damit zu tun, wie wir uns sahen, sie und ich. Tanya war so rein wie der antarktische Schnee. Sie trug eine Gasmaske, wenn sie radfuhr. Sie war als Vegetarierin auf die Welt gekommen, als Kind von Hippies. Sie rauchte und trank nicht; ihr schlimmstes Laster waren Zuchtpilze aus biodynamischem Anbau.
Als sie in diese PCB-Pfütze geschaut hatte, hatte sie wohl eine erste Ahnung von ihrer Sterblichkeit bekommen,
und es ist anzunehmen, daß ihr das nicht gefiel.
Wir alle stehen bei unserem Körper in einer Art toxischer Schuld, und früher oder später wird sie fällig. Zigaretten oder ein Job in einer Chemiefabrik treiben diese Schuld in schwindelerregende Höhen. Und obwohl Tanya kaum
eine hatte, hatte sie vielleicht, als ihr klar wurde, daß sie PCBs anstarrte, auf ihre Haut brachte und einatmete, das Gefühl, ihre ganze Vorsicht sei für die Katz gewesen. All der Tofu umsonst. Plötzlich war sie so gefährdet wie eine Fixerin.
Ich mache mir keine Illusionen über meine Reinheit. Ich meide die wirklich üblen Sachen. Ich arbeite
grundsätzlich nicht mit starken Lösungsmitteln und
inhaliere meine Zigarren nicht. Und ich war imstande, diese PCBs halbwegs gelassen zu betrachten und mir zu sagen: Okay, ich bin vergiftet, aber wenn ich das
Rauchen aufgebe und ein bißchen mehr radfahre, kann
ich diese toxische Schuld vielleicht tilgen.
Rein aus der Luft kriegt man sowieso keine PCB-
Vergiftung. Man kriegt sie, wenn man das Zeug frißt.
Bei diesem Gedanken fielen mir Gallagher und seine
Crew ein. Die ernährten sich von Hummern. Ich mußte
sofort Kontakt zu ihnen aufnehmen. Was nicht
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