Vollmeisen
Nachmittags nahm ich mir den Zweitschlüssel für die Werkstatt meines Vaters aus dem Schlüsselkasten. Alles kein Problem. Auch meine Mutter war beruhigt, nachdem ich ihr erklärt hatte, dass ich zu einem Nachteinsatz musste, aber die ganze Zeit von Männern aus meiner Firma umgeben sein würde. Was ja noch nicht mal gelogen war.
Ich hatte Nick schon vorher gesagt, dass der Eigentümer sehr auf Diskretion bedacht wäre und deshalb der Lieferwagen mit den Scheinwerfern und was man sonst so alles brauchte, unbedingt auf dem Hinterhof geparkt werden musste. Dies galt auch für die Autos der Darsteller. Also fühlte ich mich ganz auf der sicheren Seite.
Die Crew bestand aus einem Kameramann, seinem Assistenten, zwei männlichen Darstellern und der viel gefragten Dolores. Ich schloss ihnen das Tor auf, und sie rollten Richtung Hinterhof. Auch Nick fuhr mit seiner C-Klasse auf den Hof, und ich schaute verliebt seinem Hinterkopf hinterher.
In kürzester Zeit war der Set aufgebaut â Papas Laden erstrahlte in hellstem Licht. Gut, dass seine Nachbarn ihre Firmen ebenfalls schon geschlossen hatten. Ich saà in seinem kleinen Büro und hoffte, hier bald fertig zu sein, so ganz wohl fühlte ich mich bei der Sache nicht. Aber ich musste wohl noch etwas ausharren, denn ich sollte ja noch den Papierkram erledigen. Da stürmte plötzlich Dolores in »mein« Büro, leider bereits in Arbeitskleidung, also â bis auf einen hinter ihr herflatternden Satinumhang â splitternackt. »So jeht dat nich, so mach ich dat nich mit!«, informierte sie mich in schönstem Ruhrpott-Deutsch. »Ich leg mich doch nich auf so eine verwarzte Werkstattbank, da hol ich mir ja sonst wat.«
Ich wollte gerade erwidern, dass mein Vater sehr auf Ordnung bedacht war und sie sich eher von ihren Mitstreitern etwas holen könnte als von Papas Werkbank. Aber dann fiel mir ein, dass der wahre Eigentümer dieser Immobilie wohl besser ungenannt bleiben sollte.
»Oh, das kann ich verstehen«, beeilte ich mich, ihr zuzustimmen, »das ist ja wirklich eine Zumutung. Ich hol Ihnen gleich eine Decke aus meinem Auto, und die tun wir dann darüber, okay?«
»Jo, dat ginge wohl, denk ich mal. Wenn die sauber ist?«
Würde ich mal von ausgehen, dass meine Mutter keine dreckigen Decken in ihrem Auto liegen hat. Aber auch das behielt ich besser für mich und beruhigte sie nur damit, dass die ganz bestimmt sauber war.
»Na, denn mach ich mich jetzt mal fertig, wa?«, informierte sie mich und setzte sich an den Schreibtisch. »Mann, wo ist denn der Spiegel? Bist du überhaupt neu hier, ich kenn dich gar nicht.«
»Ãh ja, ich bin Alice und neu, und was für einen Spiegel brauchst du?«, fragte ich sie vorsichtig. Meinte sie so einen, den man auf den Tisch legt und von dem man Kokain schnupft?
Sie guckte mich an, als wäre ich etwas zurückgeblieben. »Mann, den Schminkspiegel natürlich, ich geh doch nicht ungeschminkt vor âne Kamera.«
Puh. Ich dachte schon ⦠Man mag mich für engstirnig halten, aber die Räume meines Vaters in eine Pornobude zu verwandeln ist eine Sache, daraus aber einen Drogenschuppen zu machen eine ganz andere. Ich ging zum Lieferwagen, in dem sich nur ein Handspiegel befand. Wahrscheinlich guckte mein Vater damit in Rohre â¦
»Den musst du mir aber halten«, forderte sie mich auf. Während sie das Make-up spachtelweise auftrug, fragte ich sie vorsichtig etwas über ihren Job aus.
»Wie lange machst du denn schon bei solchen Filmen mit?«, wollte ich wissen.
»Keine Ahnung, sind schon ein paar Jahre zusammengekommen, weiÃt ja, wie das läuft.«
»Ãh, nein, eher nicht, also ich bin nur Nicks Assistentin im Büro, ich spiele nicht in den Filmen mit«, machte ich deutlich.
»Nicks Assistentin, hm? Das ist ein lecker Typ, oder? Dem würde ich auch gerne mal assistieren, aber der fängt nie was mit Schauspielern an, hat er mal erzählt.«
Das hörte ich gern.
Der »lecker Typ« rief von drauÃen nach Dolores, und sie beendete schnell ihre VerschönerungsmaÃnahmen.
»War nett, dich kennengelernt zu haben, ich muss jetzt raus. Man sieht sich!«, rief sie mir im Hinausgehen zu. »Ach, und denk an die Decke.«
Als ich mit der Decke zurückkam, waren auch ihre beiden Kollegen einsatzbereit, und ich warf Nick einen flehenden Blick zu.
»Alice, du kannst
Weitere Kostenlose Bücher