Vollmondfieber: Roman (German Edition)

Lichtung.
    Rourke stand fünfzig Schritte von mir entfernt und beobachtete mich aufmerksam.
    Ich rannte.
    Ich rannte auf den Bach zu. Der Geruch des Wassers lockte mich wie eine klingelnde Glocke. Ich war hungrig und durstig. Als ich den Bach erreicht und meinen Durst gestillt hatte, folgte ich ihm bis zu seinem Ende, hüpfte über Felsen und Gestein, nahm mir Zeit, meine neue Form zu erkunden. Meine Wölfin hatte Geduld mit mir. Aber ich wusste, dass sie rennen und jagen wollte.
    Ich setzte uns auf einen großen Stein am Rand eines kleinen Wasserfalls. Vor uns fiel eine Klippe steil in die Tiefe. Ich wollte nicht an Rourke denken. Aber er allein beherrschte meine Gedanken. Meine Wölfin schickte mir ein Bild. Es war das Bild, dass sie mir schon einmal gezeigt hatte: Rourke, der vor mir aufragte, und wir, die wir an seinem Kinn knabberten und leckten. Das kenne ich schon! Aber wir müssen unbedingt mit unserem Alpha reden   …
    J essica! Die Stimme meines Vaters brüllte mir ins Bewusstsein. Kannst du mich hören? Verdammt, antworte mir! Jessica!
    Ich sprang so hastig auf, dass ich ins Stolpern geriet. Beinahe hätte ich das Gleichgewicht verloren und wäre vom Felsen gefallen. Ich musste all meine Fähigkeiten einsetzen, um nicht ins Wasser zu stürzen.
    Dad? Dad! Ich bin hier! Ich kann dich hören!
    Kurz herrschte Stille. Jessica, hast du dich gewandelt?
    Ja.
    Die vollständige Wolfsform?
    Ja. Ich habe mich gerade gewandelt.
    Bist du in Gefahr? Jessica, antworte mir, schnell!
    Nein. Ich sah mich um, aber da war nur Wald. Zumindest nicht unmittelbar. Ich bin irgendwo in den Ozarks in einer Hütte in den Bergen. Wir haben die Wölfe aus dem Süden vorerst abgehängt. Aber ich bin sicher, sie werden uns bald aufspüren. Rourke schätzt, dass wir bis morgen Zeit haben.
    Ich fühlte, wie der Geist meines Vater sich von mir abwandte, als er etwas zu jemand anderem sagte. Es war, als würde jemand den Telefonhörer weghalten, sodass man das Murmeln im Hintergrund hören konnte. Wir sind irgendwo in Missouri auf der Straße. Tyler hat euch auf den Highway verschwinden sehen, und wir sind euch gefolgt, so schnell wir konnten. Wieder trat eine kurze Unterbrechung ein. Ich wartete geduldig. Jessica, hör zu, hier ist irgendwas los. Als du mit Rourke verschwunden bist, hat die Southern-Faktion sofort die Kampfhandlungen beendet. Und wenn ich das sage, dann meine ich jeden Einzelnen von ihnen. Sie hatten etliche U-Haul-Trucks, und die sind umgehend aufgetaucht, um die Wölfe mitten im Kampf einzusammeln. Ich habe mich nie im Leben einfach aus einem Kampf verzogen. Und ich habe auch bestimmt nie erlebt, dass irgendein anderer Wolf so etwas getan hätte, umso weniger während ein Krieg im Gang ist. Wir bleiben, und wir kämpfen, das verlangt unser Instinkt.
    W enn sie abgehauen sind, bedeutet das dann, dass keiner von unseren Leuten verletzt wurde? Ich wünschte so sehr zu hören, dass alle in Ordnung waren. Die bloße Möglichkeit, dass meinetwegen sogar Wölfe ihr Leben gelassen haben könnten, lag wie eine schwere Last auf meinen Schultern. Besonders wenn ich an diejenigen dachte, die mir am Herzen lagen.
    Ich hörte etwas, das in meinem Kopf wie Spott erschien. Uns geht es gut, um uns musst du dir keine Sorgen machen. Danny hat sich ein paar Knochen gebrochen und ist deswegen stinksauer. Einige der jüngeren Wölfe haben sich ein paar Prellungen und blaue Flecke eingefangen. Aber wir haben keine ernsthaften Verluste erlitten.
    Ich war erleichtert. Ist Tyler bei dir?
    Ja, er und zehn andere. Die anderen stoßen wieder zu uns, wenn wir dich abgeholt haben.
    Ich weiß nicht, wie ihr mich finden könnt. Wir haben einen kleinen Fluss und einen Schwefelbach durchquert und sind den ganzen Tag einen steilen Hang raufgeklettert. Du wirst unserer stinkenden Fährte folgen müssen. Ich kann mich zurückwandeln und Rourke fragen   …
    Wir finden dich, Jessica, versprochen. Nichts auf der Welt könnte mich davon abhalten, dich zu finden   – aber du musst mir jetzt genau zuhören. Der eindringliche Ton unterstrich seine Worte. Mein Blut raste, reagierte auf seine Gefühle.
    Ich höre.
    Dass die Südwölfe ihre Taktik geändert und sich zurückgezogen haben, deutet auf ein sehr ernstes Problem hin. Es bedeutet, dass sie mit einer anderen Gemeinde zusammenarbeiten, vielleicht sogar mit mehr als einer. Hier ist etwas im Busch, das wir noch nicht vollständig entschlüsselt haben. Und das Ganze ist hochorganisiert, Jessica. Ich war ein