Vollmondfieber: Roman (German Edition)
Nick war ein nüchterner Planer, ich dagegen eher der Zuschlagen-und-später-Fragen-stellen-Typ. Also war Nick gewöhnlich für die Organisation zuständig.
»Wenn es dunkel wird, bleibt einer von uns hier«, sagte Nick, »und der andere versteckt sich bei den Bäumen, bis Drake auftaucht. Wenn er erregt ist, wird er es nicht lange aushalten. Sobald er ein passendes Opfer entdeckt, setzt er sich in Bewegung.«
»Okay, ich nehme die Bäume. Ich bin so oder so zu unruhig, um still zu sitzen.« Weitere Wagen fuhren auf den Parkplatz. »Ich mag es nicht, wenn wir uns mit solchem Gesindel abgeben müssen. Es deprimiert mich.«
»Ich weiß, aber eine Welt, in der keine Drakes durch die Straßen streifen, ist eine bessere Welt, die wir nun mal nicht haben. Wenn Drake tatsächlich zuschlägt und versucht, sein Opfer zum Wagen zu zerren, lenke ich ihn ab und manövriere ihn in Richtung Bäume. Ihm wird keine andere Wahl bleiben, als dorthin auszuweichen, wenn ich mich ihm nähere. Wir schnappen ihn, wenn er hinter dem Hügel ist.«
Wir wussten beide, dass Drake sich nicht einfach ergeben würde. In einem Fall wie diesem waren wir berechtigt, Gewalt anzuwenden, jedenfalls in einem »vertretbaren Rahmen«, um die Zielperson auszuschalten. So jedenfalls stand es in den Richtlinien für die Jedermann-Festnahme. Ich liebte diese Uneindeutigkeit, zumal »vertretbar« bei einem Kobold einen ganzen Haufen Gewalt umfasste.
»Hier.« Nick hielt mir ein kleines schwarzes Etwas hin, dünn und etwa so groß wie eine Packung Kaugummi, ein Gerät, das wir bei gemeinsamen Einsätzen als Vibrationspager benutzten. Wenn ich auf den Knopf drückte, ging Nicks Pager los. Klein, leicht und wirkungsvoll. »Einmal für visuellen Kontakt, zweimal bei einer Planänderung, Daueralarm, wenn Unterstützung benötigt wird. Wir treffen uns an der südöstlichen Ecke das Gebäudes, falls irgendwas schiefgeht.«
»Verstanden.« Ich nahm Nick den Pager aus der Hand, zog dann meinen Ausweis hervor und legte ihn zu meiner Glock ins Handschuhfach. Dann steckte ich den Pager in die Tasche und positionierte ihn so, dass ich ihn durch den elastischen Stoff hindurch aktivieren konnte.
Ich stieg aus dem Wagen und verschwand über den Hügel.
Kaum auf freiem Gelände, suchte ich mir einen guten Aussichtspunkt. Es war immer noch Zeit, bis das letzte Tageslicht erlöschen würde. Drake würde sich sicher nicht blicken lassen, ehe es nicht vollständig dunkel wäre. Ich inhalierte, neugierig darauf, was ich mit meiner neuen Nase identifizieren können würde. Sofort erhaschte ich den Geruch von altem Popcorn, daneben eine Mischung aus jeder Menge fetttriefender Snacks und mehr als nur einen Hauch von menschlichem Urin. Widerlich. Aber das war nicht überraschend bei Kinobesuchern, die alle an Rieseneimern Limonade nuckelten. Das wollte ich eigentlich lieber gar nicht so genau wissen. Der vertraute Geruch von Kaninchen drang ganz aus der Nähe in meine Nase, und ich stellte überrascht fest, dass er mir gefiel. Er war süß, moschusartig. Sofort war ich noch hungriger, als ich es ohnehin schon war – was also nicht viel zu sagen hatte.
Während der nächsten eineinhalb Stunden fuhren weitere Autos auf den Parkplatz, aber nur wenige verließen ihn. Gegen neun war der Hauptparkplatz voll. Es war Spätsommer. Um neun Uhr fünfzehn flammte sensorgesteuert der zunehmenden Dunkelheit wegen die Straßenbeleuchtung auf. Die Laternen hinterließen Lichtpfützen auf dem Asphalt. Zehn Minuten später, als der Himmel vollends dunkel war, fuhr unser Mann, unsere Zielperson Drake, auf den Parkplatz.
Ich erkannte ihn an seinem Auto. Der verbeulte Lincoln Continental glitt über den Asphalt hinüber zum Ausweichparkplatz. Eine Sekunde später vibrierte meine Hüfte. Nick wollte mich über Drakes Ankunft informieren. Drake dirigierte sein Schiff in eine Parklücke, die kaum drei Meter von meinem Versteck entfernt war.
Seine Gesichtszüge wirkten, durch die Seitenscheibe betrachtet, scharf und falkenartig. Kaum hatte Drake den Motor abgestellt, fing er an, mit den Fingern aufs Lenkrad zu trommeln. Alle zwei Sekunden sah er sich prüfend über die Schulter zum Parkplatz um.
Heute Abend erwischst du niemanden, Bürschchen!
Aber heute trieb ihn alles dazu, in Aktion zu treten. Daran bestand kein Zweifel.
Der Gedanke daran, ihm das Feixen endgültig aus dem Gesicht zu wischen, jagte einen Stoß herrlich süßen Adrenalins durch meine Adern, der noch viel stärker war als der,
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