Vollmondfieber: Roman (German Edition)
sind doch schon so spät dran, Jen!«, meinte Becky ungeduldig. »Lass es besser bleiben! Ehrlich, was kann schon so wichtig sein, wenn du nicht einmal mehr weißt, was es ist?«
»Ähm.« Jen kämpfte mit sich. Von ihrer Freundin hörte sie das eine, in ihrem Kopf etwas anderes. »Nein … Geh einfach schon vor … ich komme nach. Ich mache wirklich schnell, versprochen! Ich muss nur … dieses Ding holen.«
Becky aber war offenkundig nicht bereit, ihre Freundin allein zu lassen. Mach schon, Becky, geh, dachte ich. Aber nichts da: Sie machte Anstalten, Jen zu folgen, die sich zum Gehen wandte. »Ich weiß echt nicht, was das jetzt soll! Wir sind sowieso schon so spät dran!« Nach zwei Schritten blieb Becky abrupt stehen und schüttelte den Kopf. Kurz darauf murmelte sie: »Äh, okay, Jen. Du holst es, und … ich warte auf dich … im Kino.« Obwohl Becky unverkennbar einen Befehl von Drake bekommen hatte, brauchte sie mehr als nur ein paar Sekunden, um sich von Jen loszureißen und in die Gegenrichtung zu gehen. Sie kämpfte mit sich. Leute mit einem starken Willen waren stets schwerer zu manipulieren als andere.
Zwei Individuen zu kontrollieren, musste für Drake doppelt schwer sein. Eine doppelte mentale Überzeugung erforderte eine Menge Energie, Nick beispielsweise wusste ein Lied davon zu singen. Ich hoffte nun, Drake wäre inzwischen scheißmüde.
Becky trottete in Richtung Kino davon, während Jen langsam zum Auto zurückging. Drake folgte ihr wie ein Schatten und ließ stets eine Wagenlänge Abstand. Wieder waberte mir eine Wolke süßlicher, modriger Pheromone um die Nase. Drakes Erregung nahm immer weiter zu. Ich hätte ihm am liebsten die Arme ausgerissen!
Ich kauerte immer noch im Gras und wartete auf eine passende Gelegenheit, als meine Wölfin ohne Vorwarnung aus der Deckung kam. Sie prügelte auf meine Psyche ein wie ein Hammer auf einen Nagel und verlangte mit aller Macht die Vorherrschaft über meinen Körper. Meine Arme zuckten, und ich sprang auf.
Dieses Mal würde sie ein Nein nicht gelten lassen.
In einem gewaltigen Kraftakt zwang ich mich im Gras auf die Knie. Ich war wütend. Gottverdammt, ich werde nicht noch einmal die Kontrolle verlieren! Hörst du mich? Das ist mein Körper, und wir tun, was ich sage und wenn ich es sage! Ich grub die Finger ins Erdreich, so heftig, dass sämtliche Fingernägel bis auf das Bett brachen. Wie an einer Rettungsleine klammerte ich mich am Boden fest, verzweifelt bemüht, mich in meiner Menschlichkeit zu erden. Während meine Wölfin um die Vorherrschaft kämpfte, schloss ich die Augen und stieß sie mit aller Kraft zurück. Ich durfte meiner Wölfin nicht die Kontrolle überlassen, das stand nicht zur Debatte. Wenn sie mich beherrschte, konnte ich mich gleich von meinem Leben verabschieden.
Meine Arme zitterten unter dem Bedürfnis der Wandlung; meine Muskeln regten sich unter der Haut. Ich biss die Zähne zusammen. Ich konnte nicht fassen, wie dumm ich gewesen war. Ich hatte mir eingebildet, ich könnte heute Abend einfach herkommen, und alles würde glattgehen. Ich war eine Neugeborene, eine tickende Zeitbombe. Ich hatte keinerlei Kontrolle. Was tat ich denn nur hier?!
Ich schlug die Augen auf und sah mich verzweifelt um. Ich musste hier weg. Sofort. Nick konnte allein mit Drake fertigwerden. Ich löste mühsam eine Hand aus dem Boden und wollte gerade zweimal auf den Knopf drücken, als Jens kindlicher Hilfeschrei die Luft zerriss.
Drake hatte zugeschlagen.
Ich entdeckte die beiden schnell. Drake hatte den Arm um Jens Taille gelegt. Die Kleine wehrte sich, kämpfte um ihr Leben. In seinem Eifer musste er sie aus den Fängen seiner Überzeugungskunst entlassen haben. Entweder das, oder er war einfach nicht stark genug, um mit zwei Mädchen auf einmal fertigzuwerden.
Auf keinen Fall würde ich zulassen, dass die süße Jen in ihrem blauen Sommerkleidchen Drakes nächstes Opfer wurde.
Keine Zeit mehr zum Nachdenken; ich musste handeln. Ich schloss erneut die Augen und griff mit aller Kraft, die ich aufzubringen imstande war, nach meiner menschlichen Seite und schubste sie mit gewaltiger mentaler Wucht in meinem Bewusstsein ganz nach vorn. Meine Wölfin stemmte sich gegen die Willensflut, schnappte und knurrte, tat ihr Bestes, um meine menschlichen Instinkte zu blockieren, während sie um ihr Vorrecht kämpfte. Und sie wollte gewinnen.
Ich aber wollte das noch mehr.
Schweißperlen kribbelten auf meiner Stirn. Ich übte weiter Druck aus,
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