noch längst nicht alles«, sagte Paula, während sie die mittlere Schublade herauszog und darin zu kramen begann. »Nach meinem ersten Abend war ich viel zu aufgeregt und habe einiges durcheinander geworfen. Ihr habt bestimmt rein gar nichts verstanden.«
»Doch, Ma, haben wir«, rief Jolin. Sie war bereits auf dem Weg in die Küche. Es war eine Lüge. In Wahrheit hatte sie Paula weder vergangene Woche noch bei irgendeinem Gespräch, das in den letzten Tagen zwischen ihnen stattgefunden hatte, wirklich zugehört. Zu sehr war sie mit sich selbst, ihren Klausuren und dem Geschichtsstoff beschäftigt gewesen. Außerdem hatte sie oft darüber nachgegrübelt, was Rouben wohl so spät in jener Nacht noch im Südpark gewollt hatte, und sich schließlich eingeredet, dass er tatsächlich irgendwo dort in der Nähe wohnte und einfach nur ein bisschen spazieren gegangen war. Inzwischen wusste sie es besser. Er hatte der Frau den Hund aus der Hand gerissen. Und er hatte ihn getötet, warum auch immer. Vielleicht, weil sich diese unterschwellige Aggressivität, die er mitunter ausstrahlte, auf diese Weise ein Ventil suchte. Vielleicht aber auch, weil er wirklich so etwas wie ein Vampir war. Ja, so sehr ihr klarer Verstand sich auch dagegen wehrte, in Jolin setzte sich mehr und mehr die Gewissheit durch, dass dies die einzige wirklich plausible Erklärung war. Die Erklärung für alles ... Na ja, zumindest für fast alles.
Denn nach allem, was man - was sie - wusste, vertrugen Vampire kein Tageslicht. Sonnenstrahlen ließen sie zu Staub zerfallen. Rouben dagegen hatte keine Probleme damit. Andererseits würde er nicht leugnen können, dass er in gewisser Weise lichtscheu war. Warum sonst hätte er so verärgert auf das Blitzlicht von Klarisses Kamera reagieren sollen?
Jolin hob eine der beiden Weinflaschen aus dem Karton und wischte mit der Hand den Staub ab. Ein Gläschen davon würde Paula noch redseliger machen. Ihr Vater dagegen würde sich ein Kissen unter den Kopf schieben und die Augen schließen. Wenn er wirklich so erschöpft war, würde er bestimmt auf dem Sofa einschlafen, noch ehe Paula mit ihrer Berichterstattung am Ende und sein Glas geleert war. Die Achtuhrnachrichten, Susanne Daubner, der zu Tode gebissene Pudel, der Mann im schwarzen Mantel und die Fledermaus in ihrem Zimmer waren offensichtlich schon vergessen.
Jolin war es nur recht.
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was machen wir, wenn sie misstrauisch wird?
r. v.
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subject: re: Jolin
sie ist bereits misstrauisch, es hätte einfach nicht passieren dürfen, dass sie die party so früh verlässt, aber gut, das ist nun mal nicht zu ändern, genauso wenig wie die tatsache, dass diese kleine hexe das foto gemacht hat.
Antonin
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was du alles weißt...
r. v.
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subject: re: John
ich habe - im gegensatz zu dir - keine probleme mit meinem
flugkörper.
Antonin
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keine sorge, ich komme schon zurecht,
r. v.
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subject: re: joiin
das sehe ich aber ganz anders, in meinen äugen machst du einen
fehler nach dem anderen.
antonin
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wenn du die sache mit dem hund meinst...
r. v.
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subject: reijolin
allerdings, die meine ich, aber auch das ist jetzt nicht mehr zu ändern, warten wir ab, was jolin daraus macht... vielleicht musst du sie dir aus dem kopf schlagen,
antonin
11
Nachdem Ramalia ihren Sohn gestillt hat, wickelt sie ihn in groben Stoff und verbirgt ihn unter ihren Röcken. Sie ruft nach Antonin, doch der lässt sie bis zum Einbruch der Morgendämmerung warten, dann erst hört sie die schwere Tür des Burgverlieses schlagen. »Was willst du?«, fährt er sie an. »Das Kind ist tot«, sagt Ramalia rau. »Tot?« Antonin lacht. »Es gibt keinen Tod in unserer Welt. Das weißt du genauso gut wie ich.« Ramalia reckt flehend ihre Hände zu ihm empor. »Er ist nicht von unserer Welt«, flüstert sie. »Er konnte gar nicht überleben.« Antonin ballt die Hand zur Faust und schlägt sie Ramalia ins