Vollmondstrand
Schwester unangekündigt in der Tür stehen zu sehen. So etwas kam selten genug vor. »Clara, Schwesterherz, grüß dich!«
»Hallo, Rosa, hast du Zeit?« Clara ließ ihre dunkle Sonnenbrille auf. Sie wird doch nicht geweint haben, durchfuhr es Rosa.
»Klar doch, komm rein«, antwortete sie und trat zur Seite.
»Ich war gerade spazieren und hab gedacht, ich läute mal an«, begann Clara mit schwankender Stimme. Im Lügen war sie noch nie besonders gut, das musste in der Familie liegen, dachte Rosa.
»Setz dich. Ich hol uns was zu trinken!« Rosa entschwand in die Küche. »Was magst du?«, rief sie von dort.
»Och, etwas Warmes wäre fein. Draußen ist es schon recht herbstlich«, antwortete Clara und ließ sich steif auf einen Stuhl am Esstisch nieder.
»Eine heiße Schokolade? Die mochtest du doch immer gern.«
»Ja, wenn es dir nicht zu viele Umstände macht!« Clara war höflich wie schon lange nicht mehr.
Als Rosa mit den dampfenden Getränken zum Tisch kam, versuchte ihre Schwester, ein Gespräch zu beginnen. Zaghaft vorerst, es fiel ihr nicht leicht, jemanden um Rat zu fragen.
»Rosa, du kennst dich da ja aus … ich meine, du hast ja so Fälle …also nicht, dass wir ein Problem in der Familie hätten …«
»Was ist los, hm?« Rosa war erstaunt und auch ein klein wenig gerührt, dass die Schwester ihr Einblicke in ihr Seelenleben gewähren wollte. Da musste sich einiges angesammelt haben.
»Der Günther ist so komisch in der letzten Zeit.«
»Wie, komisch?« Rosa zog die Stirn in Falten.
»Er kommt spät nach Hause, hat getrunken, ist mal lustig, mal gereizt. Wenn ich ihn im Versicherungsbüro anrufe, hebt er nicht ab und ruft erst Ende der Mittagspause zurück. Manchmal vergisst er es auch ganz.«
»Hast du mit ihm drüber gesprochen?«
»Ich hab ein bisschen gestöbert in seinen Taschen. Ich habe mir gedacht, vielleicht erfahr ich da etwas…«
»Oh, oh … Und, hast du etwas erfahren?«
»Ich habe Visitenkarten mit Telefonnummern gefunden, mehrere.«
»Und von wem waren die?«
»Von Frauen in Bars.«
»Woher weißt du das so genau?«
»Weil ich angerufen habe, mit unterdrückter Nummer. Da hat sich dann eine Bar-Lulu oder ein Freizeitclub-Rosi gemeldet.« Einen Moment herrschte Stille. Dann fuhr Clara fort: »Ich habe Angst, Rosa. Ich glaube, Günther geht zu solchen Frauen.«
»Du meinst, er geht zu Huren.«
»Mein Gott, ja, wahrscheinlich läuft es darauf hinaus.« Clara kämpfte innerlich mit sich.
»Ach, Clara.« Rosa ging auf die Schwester zu und diese versank in der angebotenen Umarmung.
»Ich mach dich noch ganz voll Schminke!«, weinte sie. Ihre heile Welt hat einen Riss bekommen, dachte Rosa.
53
»Gerade Günther, dieser farblose Typ!«, maulte Rosa.
»Es sind immer die, denen du’s nicht zutraust!« Marti war nicht wirklich überrascht, als Rosa ihm von ihrem Besuch erzählte.
Endlich gab es eine Geschichte, die tragisch war und die sie erzählen durfte. Rosa hatte sich angewöhnt, absolut nichts aus der Praxis zu erzählen, auch keine anonymisierten oder verfremdeten Geschichten. Es war leichter so.
»Günther, der brave Schwiegersohn, der erfolgreiche Manager, der langweilige Erbsenzähler! Was macht der bei einer Hure? Das will ich mir gar nicht vorstellen«, fuhr Marti fort.
»Vielleicht stimmt’s ja gar nicht. Du glaubst nicht, wie viele Männer nicht nur aus dem einen Grund in so ein Etablissement gehen.«
»Klar, zum Schachspielen vielleicht. Rosa, sei nicht so gutgläubig.
Günther, der Knauserer, zahlt keine Flasche Schampus nur zum Plaudern.«
»Was sollen wir jetzt tun?«
»Ich werde mich einmal zusammensetzen mit meinem Schwager. Ein Gespräch von Mann zu Mann schadet sicher nicht.«
»Lad ihn zum Essen ein, da sagt er sicher nicht nein«, schlug Rosa vor und kraulte ein Katzentier.
54
Rosa schickte eine SMS durch die Runde: ›Ich halt’s nicht so lang aus ohne euch! Treffen wann und wo? Lg R‹
Morgen würde sie schon in Afrika sein, aber heute war sie noch hier. Wie gut das funktioniert, dachte sie beim Piepen ihres Handys. Zeit und Ort waren schnell ausgemacht und schon konnte sie sich auf den Abend freuen.
Ach, davor treffen wir uns ja mit Anastasia, das hätte ich jetzt fast vergessen! Rosa griff zum Hörer.
»Hallo, Anastasia, wir sehn uns ja heute noch. Sag, wo hast du noch mal mit Maria ausgemacht?«
»Grüß dich, Rosa. Du, heut geht’s nicht«, erklang es von der anderen Seite.
»Warum nicht? Es war doch fix
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