Vollmondstrand
ging vor.
Sogar in der Ankunftshalle erschienen ihr die Menschen schicker als zu Hause. Jetzt war es zu spät. Oder doch nicht?
»Wann fliegen wir weiter?«
»In zweieinhalb Stunden.«
»Perfekt, ich geh zum Haar-Coach Milanese.«
»Wenn du meinst, ich check das mit dem Gepäck. Wir treffen uns nachher am Gate.«
Rosa ging bisher gern am Bahnhof zum Friseur. Nicht, dass sie dort exquisite Schönheitsbehandlungen für gesetzte Damen erwartete. Das eben nicht, am Bahnhof war es unkompliziert, es frisierten gepiercte Jugendliche, denen man durch Aufzeichnen kundtun musste, was man sich wünschte. Zum Reden war die Musik zu laut.
Einmal war sie in Graz angekommen, es war Sommer und brütend heiß. Sie hatte es vor dem Griechenlandurlaub nicht mehr geschafft, sich die Haare schneiden zu lassen, aber plötzlich drei Stunden Zeit am Bahnhof. Es folgte eine lustige Haarschneide-Aktion, nach der sie ihre Freundinnen fragten: Wo warst du beim Friseur? Da geh ich auch hin.
Oder Linz. Frühstück in einer ehemaligen Ausspeisung für gefallene Mädchen, jetzt In-Lokal (wurden die umgeschult?). Mit am Frühstückstisch ein Friseurmeister, wie sich herausstellte. Nach deftiger Eierspeise hatte er für Rosa sein Lokal aufgesperrt und die Diskokugel aktiviert. Sie war im Roxy gelandet und lauschte den Geschichten des ›Hairdryer on the road‹; und ganz nebenbei genoss sie den ›Wo warst du jetzt wieder beim Friseur, da fahr ich diesmal aber wirklich hin, solang es in Österreich ist‹-Haarschnitt.
Bei Marti war das anders. Bei Marti ging Haareschneiden schnell. Er trug seine schon immer in dieser Farbe (Flachs) und zusammengebunden. Als Student hatte er blondes Wallehaar. Groß, schlank, naturblonde Locken. Da blickten nicht nur Frauen auf. Aber diese Zeiten waren vorbei, heute bändigte Marti nicht nur seine Locken, sondern auch sein Temperament.
Rosa saß also beim italienischen Friseur und wartete darauf, ihre mokkabraunen Haare veredelt zu bekommen. Ach, wäre das schön, Mokkabraun mit Cappuccino-Strähnen oder doch besser Latte macchiato? Cioccolata wäre auch fein.
Diese swingende Grandezza am Kopf fabrizieren, das können halt nur Italiener, dachte sie, und beobachtete die Damen, deren Haar gerade gefönt wurde. Das kollektive Vorbild schien klar: Wer hier nicht zumindest von hinten einer Monica Bellucci ähnlich sah, machte eindeutig etwas falsch. Das monotone Surren der Handföns war die ideale Geräuschkulisse, um ein wenig ins Träumen zu geraten …
»Signora, Signorina!«
Als Fräulein angesprochen, öffnete Rosa die Augen.
»Si, prego?«
Ein südländischer Signore fuchtelte mit den Händen vor ihrer Nase herum.
»Come facciamo …?«
Ah, sie war in Italien, beim Friseur, am Flughafen …
Sie musste los, ihr Flieger würde sicher bald abheben.
»Molto bene, grazie …«
Und schon war sie draußen.
Ah, da war ja schon das Gate. Gott sei es gedankt. Und Marti war auch da. Er winkte.
»Gut siehst du aus, Schatz. Aber nicht viel verändert.«
»Ich hab von schönen Frisuren geträumt. Und von Monica Bellucci. Haben wir noch Zeit für einen Espresso? Ich hab plötzlich so einen Gusto …«
58
Wieder in die Luft, diesmal ging es nach Afrika. Übers Meer. Die Zwischenstopps waren ein wenig lästig, weil sie Zeit kosteten, fand Marti. Wenn es nach Rosa ging, konnte sie nicht oft genug starten! Sie liebte es.
Einmal hatte sie die Route nach Edinburgh extra mit Zwischenstopps in Paris und London ausgewählt. Sie genoss es, wenn die Maschine maximal auf Touren kam, schneller und schneller wurde und dann abhob! Das war der beste Moment! Dabei hielt sie Martis Hände und strahlte über das ganze Gesicht.
Marti würde gleich einnicken, das sah sie an seinem Blick und am langsamen Heben und Senken des Brustkorbs. Rosa hingegen war munter. Ausgeschlafen.
Und jetzt?
Sie ließ den Blick aus dem Fenster schweifen, über die Tragflächen, den Himmel, die Wolken. Sie erinnerte sich an die Reisen, die sie mit ihren Eltern und ihren Geschwistern unternommen hatte. Flugreisen waren damals noch keine dabei, dafür lange Autofahrten, im voll bepackten Kombi.
Vor Ort ein orange-geblümtes Hauszelt, ein Freiheitstraum mit drei Zimmern, PVC-Fenstern und gewellten Girlanden am Dachsims. Welch lebenslustiges Ding stand da inmitten von Pinien, Ameisen und spielenden Kindern.
Es war kein Outdoor Action Areal, es war Wohnort für zwei Wochen damals: der Campingplatz.
Wie anders war hier nicht nur das alltägliche
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