Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung
entnahm Steffens verwundertem Gesichtsausdruck, dass ihn dieser Umstand befremdete. Sie kicherte leise und sagte: »Ich weiß es deshalb noch so genau, weil ich Adina an dem Tag kennenlernte, als sie sich um eine Stelle als Apothekerin beworben hat. Adina ist von einer entwaffnenden Ehrlichkeit. Mir wäre es nie im Traum eingefallen, mich für die intimen Vorlieben meiner Angestellten zu interessieren, sie teilte es mir von sich aus zum Abschluss des Bewerbungsgesprächs mit. Einfach so. Ich sehe sie noch heute vor mir sitzen, wie sie, ohne eine Miene zu verziehen, sagte: ›Bevor sie es von anderen erfahren, möchte ich ihnen nur mitteilen, dass ich Frauen liebe.‹«
Steffen korrigierte seine erste Einschätzung von Frau Jacobs Alter. Jetzt, wo er ihr so nah gegenübersaß, stellte er fest, dass sie bestimmt schon Anfang vierzig war. Ihre zierliche Gestalt und ihr lebhaftes Wesen ließen sie jünger wirken. Introvertiert ist Frau Jacob bestimmt nicht, dachte Steffen, vielleicht haben sich diese beiden Frauen aufgrund ihrer Gegensätzlichkeit gut verstanden. Er wollte es genau wissen, deshalb hinterfragte er diesen Umstand: »Wenn Frau Mahler sich Ihnen gegenüber ansonsten so bedeckt hielt, wieso konnten sie dann Freundinnen werden?«
»Ich habe von Anfang an versucht, zu allen meinen Angestellten ein auf Vertrauen basierendes Verhältnis aufzubauen. Adina machte es mir schwer, ich konnte ihren Panzer einfach nicht durchdringen. Das hat mich gereizt, ich gab mir bei ihr doppelt Mühe. Fachliche Gespräche konnte ich mit ihr zu jeder Zeit führen, da war sie mir immer ebenbürtig, wenn nicht gar oft einen Schritt voraus. Sie war immer sehr an allem interessiert, was mit unserem Fachgebiet zusammenhing. Privates dagegen gab sie nie preis. Bis zu dem Tag, als ich mit meinem Mann an der Elbe spazieren ging. Ich sah sie, wie sie in einem Ruderboot gegen die Strömung kämpfte. Da ich schon immer den Wunsch hatte, im Urlaub einmal den Spreewald in einem Boot zu erforschen, war das der willkommene Aufhänger für mich. Wir luden Adina ein, um von ihrem Wissen über Boote und das Rudern zu profitieren. Es wurde ein schöner Abend und Adina wurde ein häufiger Gast. Eine tiefe Freundschaft entstand durch Adinas Verhalten während meiner Schwangerschaft.« Frau Jacob unterbrach kurz ihren Redeschwall, um Steffens Tasse wieder zu füllen. »Ich war gezwungen, einen längeren Zeitraum vor der Geburt meiner Tochter im Krankenhaus zu verbringen. Adina übernahm während meiner langen Abwesenheit die Leitung der Apotheke. Ohne sie wäre ich gezwungen gewesen, das Geschäft zu verkaufen. Sie hat meine Existenz gerettet.« Frau Jacob berichtete ohne übertriebenes Pathos, sie legte schlicht die Ereignisse dar. »Als ich wiederkam, trat sie einfach zurück, ohne irgendwelche Ansprüche zu stellen. Seit dieser Zeit ist Adina keine normale Angestellte mehr für mich, ich betrachte sie als meine Partnerin in Geschäftsdingen. Sie können sich sicher vorstellen, wie verwirrt ich war, als sie vor ein paar Tagen einfach so kündigte.«
Steffen nickte. »Ja, das ist eigenartig. So eine Stellung gibt man nicht ohne triftige Gründe auf. Und Frau Mahler hat keine Andeutungen gemacht, wieso sie auf einmal alles hinwirft?«
»Nein, und das hätte auch nicht zu ihr gepasst. Sie hat einfach einen Schlussstrich gezogen und ist gegangen.«
Steffen kam nun zu einem für ihn extrem wichtigen Punkt. Er beugte sich nach vorn und senkte vor Spannung die Stimme. »Ich möchte ein anderes Detail ansprechen. Kannten sie Sarah Lefort?«
Diese Frage löste ein reges Mienenspiel bei Frau Jacob aus. Sie wurde sehr ernst und doch schienen zeitweise sehr frohe Erinnerungen in ihr wach zu werden. »Natürlich kannte ich Sarah. Sie war der Sonnenschein in Adinas Leben. In der Zeit, als die beiden zusammen waren, veränderte sich Adina. Sie schien von innen heraus zu strahlen. Sie wurde lockerer und fröhlicher. Die Arbeit nahm nicht mehr die erste Stelle in ihrem Dasein ein. Sie nahm sich öfter frei und begann zu leben. Mein Mann und ich freuten uns riesig für Adina. Sie schien ihr Glück gefunden zu haben. Und das, obwohl diese beiden gegensätzlicher nicht sein konnten. Adina ist ein zurückhaltender, streng logisch denkender Mensch; Sarah dagegen war offen und lebensbejahend.«
Steffen glaubte, in Frau Jacobs Augen eine leichte Belustigung zu erkennen. Er hakte nach: »Demnach gab es keinen Streit zwischen den beiden?«
»Oh doch!« In Frau Jacobs
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