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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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kultiviere er das Archaische seines Lebens umso mehr. Er liebe das Alte Testament, sagte er, und könne wenig mit dem Neuen anfangen (obwohl er ja, wie Jesus, die Schriftgelehrten nicht ausstehen konnte).
    Schafe sind Vegetarier, Städter sind Blutsauger
    Zweieinhalb Stunden redeten wir. Diese Zeit hatte man hier, dann begann die Arbeit einfach später. Aber jetzt blökten die Schafe heftig, und wir gingen hinaus zur Herde. Die Luft war milder. Als die Schafe grasten, stand Wolfgang Hamacher unten am Hang und schaute hinauf zu den Tieren.
    »Die Schafe fordern immer nur und tun nichts außer fressen«, sagte er. »Sie geben mir nichts. Doch – ihr Blut. Wir alle sind Blutsauger.«
    Zwei schwarzhaarige Besucher kamen den Hügel zu uns herauf. Besuch, das war selten. Wolfgangs zweiter Besuch nach mir innerhalb von zwei Tagen, nach diesem langen, einsamen Winter. Das musste der Frühling sein. Die Männer waren Süditaliener aus dem Taunus, Kalabresen, ein Dicker und ein Dünner. Der Dünne hatte nur noch wenige Zähne im Mund und sprach mit Wolfgang, der Dicke stand daneben und guckte zu, er sagte kein Wort. Die beiden suchten hier in der Gegend Flächen für ihre Schafe. Es seien keine frei, sagte Wolfgang Hamacher und zeigte den Besuchern seinen Stall und seinen Bauwagen.
    Der Wind zog durch den Schafstall, der ein Wellblechdach hatte und zur einen Seite offen war. Schafskötel klebten wie Hubba-Bubba-Kaugummis an unseren Schuhsohlen. Die Wände waren konservativ behangen: Bauernsprüche (»Schuster, bleib bei deinem Leisten!«), alte Hirtenbilder, ein Kunstdruck von Spitzwegs »Armem Poeten«. Immer mehr Schafskaugummis klebten an meinen Leisten, damit ging ich der Gruppe hinterher durch Stroh, das golden glänzte.
    Um den Stall herum waren in Holzregalen die Fundstücke eines Schäferlebens ausgestellt. Eine Münze, ein Kreuzer von 1869. Eine Seltersflasche vielleicht aus den fünfziger Jahren, ein Puppentorso aus Porzellan. Die Klinge eines Beils aus Basalt, geschliffen zirka 2000 vor Christus, wiederentdeckt vom Waldmenschen, hatte bis vor kurzem auch hier gelegen. Sie wurde jetzt nach großzügiger Schenkung des Finders im Turmmuseum Mengerskirchen ausgestellt.
    Der dünne Kalabrese sagte zu Wolfgang, so einfach wie er lebe in Kalabrien niemand mehr. Sie tauschten Telefonnummern aus.
    Am Mittag bat mich der Schäfer darum, ihn in den Supermarkt zu chauffieren. Normalerweise erledigte er seine Einkäufe zu Fuß, drei Kilometer durch den Wald. Wir fuhren zum Rewe-Markt, vor dem Mittelklassewagen ein- und ausparkten. Aus der Perspektive eines Waldschäfers, der ohne Strom und Wasser lebte, wirkten die Autos befremdlich. Brummende, stinkende Rieseninsekten, die Erdöl soffen, bis es eines Tages keines mehr geben würde, und deren Wege Land fraßen. Die brummenden Rieseninsekten als Vorboten des schrecklichen Zusammenbruchs. Malthus, der Sensenmann unter den Ökonomen, schwang wieder seinen rostigen Säbel: Hunger und Morden in den Städten, und während Babylon brennt, überlebt die auserwählte Gruppe der handarbeitenden Bauern. Auf diese apokalyptische Pointe lief das Weltbild der Selbstversorger hinaus.
    Er rollte seinen Einkaufswagen über den glänzenden Fliesenboden. Im Supermarkt sah Wolfgang Hamacher aus wie ein Eremit aus der Wüste, der sich ins Bankenviertel von Dubai verirrt hatte. Er wirkte wie ein Obdachloser. »Hier drin wird mir manchmal schlecht vom Geruch«, sagte er und packte den Einkaufswagen mit den billigsten Produkten voll: »Ja«-Milch, »Ja«-Spaghetti, Lachsersatz aus dem Glas. Fünfundsechzig Euro. Sein Konto war voll, gestern waren mehrere tausend Euro Landschaftspflegesubventionen angekommen. Dann fuhr ich den Schäfer zu einer Bekannten, die ihm öfter die Wäsche machte. Am Nachmittag waren wir zurück in der Via Campesina.
    »Heute wollen wir marschieren / Einen neuen Marsch probieren / In dem schönen Westerwald / Ja, da pfeift der Wind so kalt.« So ging das Westerwaldlied, und es hatte recht. Am frühen Abend hütete der Waldschäfer wieder. Ruhig war es im Westerwald, nun spendierte uns die Sonne ein bisschen Wärme, und trotzdem wehte der Wind noch kühl.
    »O du schöner Westerwald / Über deine Höhen pfeift der Wind so kalt / Jedoch der kleinste Sonnenschein / Dringt tief ins Herz hinein«? Das Lied hatte unrecht. Der Waldmensch bekam einen Wutausbruch, als irgendwann im Gespräch die Floskel fiel, der Mensch sei die Krone der Schöpfung.
    »Die Menschen sind das Niedrigste,

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