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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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abzugeben war die Regel. Alle Immobilien, Grundstücke und Unternehmen, etwa Landwirtschaftsbetriebe, gehörten dafür den Genossenschaften, also allen gemeinsam. Sein Einkommen behielt jeder zwar zunächst für sich, gab es normalerweise aber größtenteils freiwillig für Gemeinschaftsinvestitionen der Familie aus. Doch wenn man wollte, durfte man auch etwas für sich kaufen, eine Reise machen oder sogar ein privates Unternehmen gründen.
    Einige arbeiteten in volkseigenen Betrieben wie einer Solarinstallationsfirma, einem Massagestudio, der Kinderkrippe. Andere waren in der umliegenden Welt Gymnasiallehrer, Ärzte, Putzfrauen, Ingenieure.
    Um das Kapital im Land zu halten, hatte Damanhur auch eine Parallelwährung. Wer mit Credito bezahlte, bekam im Einkaufszentrum fünf Prozent Rabatt. Auch Besucher von außerhalb kauften hier ein, beauftragten Handwerker oder besichtigten den Tempel, was Euro-Devisen brachte.
    Der Gründer und mutmaßliche Guru Oberto Airaudi hatte die Gemeinschaft in den siebziger Jahren initiiert. Sein Name war wie gesagt Falco, der Falke. Er hielt sich in diesen Tagen in Turin auf, wo er eine Heilpraxis unterhielt. Ich konnte ihn nicht kennenlernen. Aber vieles in Damanhur trug seine Handschrift.
    Wir erreichten unser Haus. Ein Schotterweg schlängelte sich herunter zu dem Anwesen, das hinter einem verschlossenen Eisentor lag. Auf dem Tor war der ägyptische Gott Horus dargestellt, der Falkengott. Horus stand hier für die Vorstellung einer göttlichen Kraft, die Verbündeter des Menschen auf dessen Erkenntnisweg sei. In Ägypten gab es eine gleichnamige Stadt Damanhur, das heißt »Stadt des Horus«. Macaco drückte den Knopf einer Fernbedienung, und das Tor öffnete und schloss sich wieder schnell, als wir hindurchgefahren waren. Das Familienhaus, Nucleo Comunità, also der Kern der Gemeinschaft, lag herrlich am Hang, halb über dem piemontesischen Tal mit der Provinzstadt Ivrea, halb unterm Himmel. Ich legte mein Gepäck ins Gästehaus, einen Wohnwagen. Dann stellte Macaco ihre Familie vor: Capra, das war die andere Deutsche, und noch eine dritte Deutsche und sehr viele Italiener – eine Lehrerin, ein Mann, der sich als spiritueller Forscher bezeichnete, ein Baby und dessen Vater, der einen Kopf hatte, der so rund war wie der seines Babys. Beide strahlten ätherisch. Diese Großfamilie, die Dendera hieß, hatte für Damanhur die Aufgabe wahrzunehmen, diplomatischen Kontakt mit anderen Ökodörfern zu pflegen. Jede kleine Einheit hatte eine Funktion fürs Ganze, so wie in jedem ordentlichen Föderalstaat.
    Die drei Deutschen kümmerten sich mehr um mich, die anderen blieben auf Distanz, man merkte, dass oft Besucher da waren und meine Anwesenheit kaum auffiel. Alle strahlten. Sie wirkten so gut gelaunt wie auf den Fotos von ihnen, die an der Wand hingen: Darauf lachten alle. Ein Foto zeigte die gesamte Gemeinschaft. Zu so einem Gruppenbild versammelte sie sich Jahr für Jahr in weißen Gewändern, die die Zusammengehörigkeit verdeutlichten. Sie sahen glücklich aus, aber auch so, als wollten sie zeigen, dass sie glücklich waren.
    Die glückliche Familie Dendera
    Capra Carruba war jünger als Macaco, zweiundvierzig, und Mutter eines kleinen Mädchens. Früher hatte sie in Berlin gelebt und als Beraterin gearbeitet. Mit der dritten Deutschen hatte ich kaum zu tun, ich sah sie manchmal, wie sie im Wald vor meinem Wohnwagen Brombeerbüsche bearbeitete. Nur am ersten Abend saß sie mit am Tisch. Wir sprachen über einen Artikel über Damanhur, der vor einiger Zeit im Wirtschaftsmagazin brand eins erschienen war. Er hatte der dritten Deutschen, wie auch Macaco und Capra, nicht gefallen. Zu ironisch, kein tiefes Verständnis, am Kern vorbei. »Sehr kritisch, kritisch«, sagte die dritte Deutsche über den Artikel und rümpfte dabei die Nase. Kritisch schien ein Attribut zu sein, das sie kritisch sah. »Der Autor hatte so viele Informationen, er hätte mehr daraus machen können«, sagte Macaco. Vielleicht habe er keinen Sinn für Spiritualität, er sei ja in der DDR aufgewachsen, versuchte sie eine Erklärung, aber sie wisse es nicht so recht. Sein Artikel hatte Damanhur wie ein Irrenhaus aus einer anderen Galaxie beschrieben.
    Vor dem Abendessen sprachen alle das damanhurianische Tischgebet. Es war auf Italienisch und würdigte die Natur für die Speisen und dankte für Erde, Luft und Wasser, die in die Speisen eingegangen waren. Für alle war ein Büfett aufgebaut. Es gab Salate und

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