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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Grossarth
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einen inneren Weg gehen gegen den Strom. Der Blaubeerenzüchter, der Gaukler, das waren zwei Steppenwölfe, zwei Figuren einer bürgerlichen Welt.
    Jörg von Winterfeld brachte mich auf die Idee, dass sie selbst Bürger waren. Sie hatten offene Augen und Ohren, sie stießen sich wie Magneten immer wieder ab vom anderen Bürger, der alles dem Wohlstand, vermeintlicher Sicherheit und der Karriere unterordnet. Sie waren aber auch keine Radikalen. Sie gurkten in Schlangenlinien durchs Leben, angezogen von dieser und jener Wahrheit, abgestoßen von denen, die den Begriff der Wahrheit, außer der eigenen, aufgegeben hatten, sie ließen sich noch von der Vernunft korrigieren, aber auch noch vom Gefühl. Vielleicht waren sie das, was man »Bildungsbürger« nannte (Michael Klonovsky hatte einmal geschrieben, Bildung heiße für ihn, sich unter lauter Gleichgesinnten nicht wohl zu fühlen). Dieses Bildungsbürgertum aber lebte heute immer seltener in Gründerstilvillen oder Landschlösschen, sondern hielt in Zirkuswagen und Bruchbuden die Stellung. War es so, dass der schlechte Bürger den guten Bürger vermehrt zum Aussteigen zwang, in den Unternehmen, in den Institutionen, in der Gesellschaft? Der Macher den Bedenkenträger. Der von sich selbst Eingenommene den Zweifelnden. Der Redende den Hörenden. Der Bildungsbürger lebte vermehrt am Rand. Die geistige Wüste in der Mitte weitete sich aus.
    Frankfurter Würstchen
    Vor den Frankfurter Bankentürmen stand der Imbisswagen eines früheren Bankers, der eines Tages gekündigt hatte, um nur noch Würste zu braten. Er schraubte an einem Hydranten.
    »Sind Sie Herr B.?«
    »Ja, aber ich bin eigentlich gar nicht mehr hier.«
    »Oh, schade. Ich möchte ein Buch über alternative Lebensformen schreiben.«
    »Ne, so einer bin ich nicht, ich hasse diese Alternativen. Ich bin nur kein Banker gewesen, das passte nicht, das ist alles. Jetzt mach ich eben den Imbiss.«
    »Aber Sie haben doch auch auf viel verzichtet: Ihre Position, das Einkommen.«
    »Wer sagt das? Wenn man das richtig macht, lohnt sich das hier auch!«
    »Ich will ja nicht nur über Ökos schreiben.«
    »Alternative. Ich hasse diese Leute.«
    »Können wir denn mal in Ruhe über Ihr neues Leben reden?«
    »Ich muss jetzt weg. Kommen Sie mal Mittwoch um elf Uhr.«
    »Dann bin ich nicht mehr in Frankfurt.«
    »Das ist schlecht.«
    Herr B. stieg in einen Sportwagen mit dem Kennzeichen des Main-Taunus-Kreises. »Kommen Sie meinetwegen mal um elf Uhr vorbei, dann reden wir«, sagte er und fuhr in Richtung Taunus. Die Reifen wirbelten Staub auf.

Nürnbergs junge Jesuiten
    Verehrtes Publikum, nun schalten wir wieder um zu den Religiösen: Nördlich an die Nürnberger Altstadt grenzt der Stadtpark, und die Virchowstraße grenzt an den Stadtpark. Hier steht das Novizenhaus des Jesuitenordens, seine einzige Ausbildungsstätte in Deutschland, Österreich, Schweden und der Schweiz.
    Die Virchowstraße ist eine feine Wohngegend, in der es Altbauten und alte Bäume im Überfluss gibt. Die Straße hat sich großbürgerliche Erhabenheit bewahrt, die Villen sind mit romantischen Türmchen oder neuantiken Säulen dekoriert, Relikten aus der Blütezeit des Bürgertums.
    Virchowstraße, das ist eine ironische Adresse für Jesuiten. Sie ist nach Rudolf Virchow benannt, einem Pathologen und preußischen Liberalen, der Bismarck darin unterstützte, den Jesuitenorden im Jahr 1872 zu verbieten. Er prägte den Begriff des Kulturkampfs im Deutschen Reich gegen den politischen Katholizismus, als Bismarck die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan einstellte oder Priester und Bischöfe verhaften ließ. Virchow hielt den Katholizismus für »absolut unverträglich mit der Kultur, als deren Träger wir uns betrachten«. Diese Zeit war der Höhepunkt des republikanischen Antikatholizismus.
    Jetzt wohnten die Jesuiten also in einer Villa in der Nürnberger Virchowstraße. (In Frankreich heißen Kakerlaken im Volksmund noch heute jésuites .) Das pastellgelbe Rupert-Mayer-Haus war das Herz der Virchowstraße. Die Villa hatte bis zum Jahr 1969 einem evangelischen Augenarzt gehört. Er wollte, dass nach seinem Tod damit etwas Sinnvolles geschehe, und verkaufte es dem Orden ökumenisch günstig.
    Die Nachbarn der Jesuiten waren die LGT-Bank, eine Unternehmensberater- und Rechtsanwaltskanzlei sowie eine Arztpraxis. Das graue Eisentor stand offen. An den Klingelschildern standen die Namen der fünf Patres, die hier lebten, nicht aber die der Novizen, zu

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