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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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vielleicht ein Unbehagen spüren. Aber nur dem künstlerischen Geist gelingt es, Gründe für dieses Unbehagen |75| schon lange, bevor es deutlich zutage tritt, aufzuspüren. Man hätte eine Lesung auf dem Pfingsttreffen durchsetzen können. Du wärst auf der großen Bühne mitten auf dem Alexanderplatz aufgetreten! Ein Kulturfritze aus der Volkskammer hätte dich vorgestellt, und der ganze Platz, die Stadt und das Land hätten begriffen, daß es einer großen Kraft und großer Not bedarf, um Menschen für eine gesellschaftliche Idee zu gewinnen.
    Heutzutage lassen sie einen abblitzen. Heute zählt nur noch, was du bist oder zu sein vorgibst, nicht mehr, aus welcher Überzeugung heraus du handelst. Als sie erfuhren, daß ich im Verkehrsministerium arbeite, sagten sie bloß: Na dann regeln Sie mal schön weiter den Verkehr. – Mein Posten hier ist nicht einflußreich, und ich bin nicht so geartet wie der Minister, der seine gute Beziehungen zu Investoren zu nutzen weiß.
    Ich bin nicht mehr der von früher, und die Welt ist es nicht. Das mag pathetisch klingen, vor allem für dich; du gehörst einer anderen Generation an. Für uns, für Menschen wie mich, ist Pathos nichts Anrüchiges. Irgendwann wacht man auf und stellt fest, man lebt schon sehr lange damit. Man hat sich angewöhnt, sich selbst andauernd zu überhöhen, damit die Nacktheit darunter nicht sichtbar wird.
    Du mußt dir nur einmal folgendes vorstellen: Ich habe nach der Wende, die für mich etwas schwierig verlaufen ist, nach langer Zeit wieder einmal aufmerksam in den Spiegel geschaut.
    Ich war erschrocken.
    Vor diesem Spiegel wurde mir klar, daß ich mich bisher noch als Dreiundzwanzigjähriger betrachtet hatte. Ich war, ohne darüber nachzudenken, all die Jahre von dem Menschen ausgegangen, der ich mit dreiundzwanzig gewesen |76| war. Ungestüm, vorwärtsdrängend, besserwisserisch natürlich, aber nur, weil ich von diesem oder jenem überzeugt war. Mit fünfzehn bin ich auf ein Internat gekommen, das war kurz vor dem Mauerbau, dann hat man mich kurze Zeit nach Moskau geschickt. Schließlich habe ich Ökonomie studiert und war immer noch von diesem oder jenem überzeugt und bekam eine gute Stelle als Ingenieur-Ökonom in Potsdam. Es konnte losgehen. Und ich legte los. Ich legte mich richtig ins Zeug. Bis zur Wende war ich dieser junge tatkräftige Ingenieur gewesen.
    Im Spiegel war ich nicht mehr dreiundzwanzig. Im Spiegel war ich alt.
    Mir wurde klar, daß ich die ganze Zeit Teil einer Idee gewesen war, und Ideen altern nicht. Sie wachsen, und man wächst mit ihnen. Aber die Zeit, der gewöhnliche Ablauf, ist unterbrochen. Erst wenn die Ideen gescheitert sind, liegen die Körper blank, und das Altern setzt ein. Es setzte so stark ein, als hätte es Jahrzehnte aufzuholen.
    Das ist etwas sehr Persönliches, das ich dir hier anvertraue. Aber ich glaube, daß du die Richtige bist, vielleicht die Einzige, die damit angemessen umgehen kann.
    Leider ist es mir mißglückt, dir eine Lesung zu organisieren.
    Um mir keine Blöße zu geben, habe ich so lange gezögert, dir das mitzuteilen, bis du mein Vorhaben wahrscheinlich vergessen hast.
    Ich habe dir damals als Frau geschrieben, weil ich dachte, das räumt am sichersten die Anlaufschwierigkeiten aus. Mehr steckte tatsächlich nicht dahinter. Und, liebe Antje, wenn es eine Schattenseite an diesem gutgemeinten Versuch gegeben hat, dann war es die: Ich habe mir erlaubt zu denken, ich träte als dein Entdecker auf. Es hat mir Freude bereitet. Ja, ich hatte sogar den Eindruck, es gäbe |77| dem Ganzen hier einen Sinn. Heute sehe ich, daß das ein falscher Ansatz war.
    Ich habe mir damals keine Gedanken gemacht, was passieren würde, wenn wir uns gegenüberstehen. Ich habe da wohl deinem Instinkt und deiner Großzügigkeit vertraut. Das tue ich jetzt wieder. Ich bin sicher, daß du meine Ehrlichkeit zu schätzen weißt und hoffe, dich in dem Gedanken bestärkt zu haben, daß es lohnenswert sein könnte, auf meine Briefe doch noch zu reagieren. Ich wünsche dir eine frohe Adventszeit!«

Protokoll 3
    Es war ein dilettantischer Versuch. Ein Versuch, der von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Niemand läßt sich von einem Unbekannten eine Veranstaltung aufschwatzen, bei der die Aussichten auf Erfolg völlig unsicher sind! Man sollte sich keine Dinge zutrauen, die nicht ins eigene Fachgebiet fallen. Aber ehrlich gesagt: Es war ein Abenteuer. Zwei Wochen lang herrschte Ausnahmezustand, die reinste

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