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Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest

Titel: Vom Dorf - Abenteuergeschichten zum Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Garderobentisch, das rot war wie das Handy meiner Freundin vom Dorf. Meine Freundin hat das Pech, derzeit in dem einzigen Dorf zu wohnen, das zu Anschauungszwecken noch sozialistischem Standard entspricht, weshalb dort alle keinen Festnetzanschluß haben.
    Vor Sonja war das Handy noch nicht dagewesen. Aber wie kam Sonja an das Handy meiner Freundin vom Dorf? Es war ihr Handy, ich erkannte es deutlich an dem kleinen Aufkleber rechts oben, auf dem stand
Hände weg
! Und natürlich hob sie nicht ab, wenn das Handy in meinem eigenen Flur klingelte und nur ich selbst von mir zu erreichen war.
    Und dann klingelte es erneut.
    Nach der ersten gepiepsten Strophe von ›Oh du fröhliche‹ ging ich ran.
    »Hallo.«
    »Hallo«, sagte es zurück, als hätte ich mich jetzt wirklich selbst angerufen wie der Tod in ›Lost Highway‹.
    »Hallo?« sagte ich noch mal, »Wer ist denn da?«
    »Papst«, sagte eine dunkle Stimme, die eindeutig nicht meine war. »Auch unter www. vatikan.de zu erreichen.« Es folgte ein fieses Lachen.
    »Entschuldigung, das hier ist ein Privatanschluß«, sagte ich.
    |70| »Macht nichts, macht nichts. Ich habe was für Sie. Wir machen eine Aktion. Es ist dringend. Kommen Sie heute um acht ins ›Goldrausch‹.« Der Anrufer hatte den gleichen Akzent wie Sonja, es war ein russischer Akzent, dachte ich, russisch gerollte R’s, die Exil-Gemeinde in Berlin schien zu wachsen.
    »Sie wollen sicher mit   –«, sagte ich, aber schon in das unerbittliche Tuten einer leeren Leitung hinein, »sprechen.« Interessant, was meine Freundin so für Bekannte hatte.
    Da ich sie über ihr Handy nicht erreichen konnte, blieb mir nichts übrig, als abends selber ins ›Goldrausch‹ zu gehen, um die Verwechslung aufzuklären. Das Goldrausch war eine hippe Bar am Hackeschen Markt, wo die Jungyuppies gewöhnlich ihre gelockerten Abende verbringen. Ich steckte vorsichtshalber Kampfgas ein.
    Vielleicht war doch alles gefährlicher, als ich dachte, ein russischer Coup, die Mafia, Geldwäsche, Drogen, wer wußte das schon. In solchen Momenten fiel mir auf, daß ich meine Freundin nicht besonders gut kannte. Ich hatte nur den Eindruck, schon immer mit ihr bekannt gewesen zu sein. Aber hätte jemand ein Porträt über sie gemacht, hätte ich höchstens ein paar Allgemeinplätze beisteuern können.
    Vielleicht war auch alles ganz harmlos. Vielleicht handelte es sich nur um eine Verkaufsaktion zugunsten von amnesty international. Meine Freundin war schon länger menschenrechtsbewegt. In diesem Fall würde ich an ihrer Stelle kaufen, was immer man dort anbot. Wäre es originell und nicht bloß Tand, böte sich mir sogar die Gelegenheit, ihr zum ersten Mal im Leben zu Weihnachten nicht immer das gleiche zu schenken.
    Doch meistens kommt alles anders als in der Phantasie, |71| und so dachte ich nur, kommen lassen, immer erst mal kommen lassen.
    Im ›Goldrausch‹ mußte ein Kunsthistoriker Geschäftsführer sein. Überall klebten Flügel, an Stuhlbeinen, an den Sockeln der Bar, kleine Falterstummel zierten die Bäuche der Whiskyflaschen, was sich auf eine alte, verschüttete Tradition bezog, nach der Engel ihre Flügel an den Füßen trugen, um die Gestirne schneller drehen zu können. Die Gestirne oder meinen Kopf.
    Ich ging an die Bar.
    »Einen O-Saft bitte.«
    »Da drüben«, zischte mir der Barkeeper zu, ohne auf meine Bestellung einzugehen, und deutete über meine Schulter.
    »Was?«
    »Da drüben«, flüsterte er. »Gucken Sie mal, gucken Sie hin!«
    »Wohin?« fragte ich, aus dem Spülbecken der Bar roch es nach Frosch-Essigreiniger, der Barkeeper zog eine Grimasse.
    Das Handy in meiner Hand klingelte.
    »Nurtia«, sagte der Barkeeper plötzlich mitten hinein in mein Essigreinigergefühl, und zwar gefährlich laut, gab mir ein Daumen-hoch-Zeichen und verschwand.
    »Danke, perfekt. Großartig, GROSSARTIG.   Supergenial echt. Und die Botschaft ist voll gut rübergekommen. Klasse, Jungs, dann machen wir jetzt mal ’ne Pause. Hey, Baby!« Jemand klatschte mir auf die Schulter. »Danke fürs Mitmachen. Papst.«
    Ein mittelgroßer, unscheinbarer Mensch stellte sich vor, sein Gesicht war so glatt, als wäre es mit Bleifolie beklebt. Hätte er sich umgedreht und wäre erneut auf mich zugekommen; ich hätte ihn sicher nicht wiedererkannt. »Kopie |72| mail ich dir, kein Streß, Reisekosten bezahlt die Firma, alles klar dann? Wenn nicht, können wir auch gern noch mal smsen.« Das einzige, was ihn von den anderen unterschied, war das

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